Mitleid für Angela M. oder Mitleid für Martin S.?









Endlich hat es also stattgefunden, dass langersehnte erste Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump. Wie zu erwarten war, ist da inhaltlich nicht viel herausgekommen. Umso entschiedener stürzen sich die konventionellen Medien auf alles, was man in das entstandene Bildmaterial hineininterpretieren kann.

Breiten Raum nimmt dabei im deutschen Blätter- und TV-Wald der angeblich durch Trump verweigerte Handschlag beim üblichen Erinnerungsfoto vor dem Kamin ein. Spezielle Experten werden da bemüht, die nach einem tiefgründigen Blick auf Ihren Laptop der aufklärungshungrigen Öffentlichkeit endlich die richtige "Einschätzung" des Sachverhalts nahe bringen dürfen.

Sollten wir also Mitleid empfinden für Angela Merkel, weil ihr da der "POTUS" *1 das Patschehändchen verweigert hat?




Ob man aus diesem Grund Mitleid für die Angela M. empfinden sollte, ist mir durchaus unklar und im übrigen auch ziemlich egal.

Man könnte aber durchaus aus anderen Gründen Mitleid empfinden. Denn eigentlich sitzt Frau Merkel ja neben der falschen Person vor dem Kamin des Weissen Hauses - eigentlich hätte da ja Mrs. Clinton hingehört, die von Frau Merkels "gutem Freund Barrrack" Obama - zumindest in der Endphase des US-Wahlkampfs - als einzig wählbare Kandidatin dargestellt wurde. Und für jenen "Freund Obama" hat Frau Merkel auch das wichtigste Gut riskiert, dass ein moderner Regierungschef überhaupt einsetzen kann: die eigene Wiederwahlfähigkeit.

Wir müssen also nochmals zurückblenden in jenen Spätsommer und Herbst des Jahres 2015, als ein in der neueren Geschichte ziemlich einmaliger Vorgang stattfindet: Die Bundesregierung hebt, nur für Flüchtlinge aus Syrien, das sogenannte "Dublin"-Verfahren auf und erweckt zumindest den Anschein, als sei jeder Syrer in der BRD willkommen und werde ohne viel Umstand sofort in die Wohlstandsgesellschaft integriert. Entsprechend setzt ein ungesehener "run" Richtung BRD ein - sowohl in Syrien selbst als auch in den Nachbarländern, in denen bis dato der Grossteil der Flüchtlinge mehr recht als schlecht untergekommen war.

Politisch offensichtlich ein hochriskanter Vorgang, den die Kanzlerin damals in Gang gesetzt hat - etwas, das weniger begabte Politiker in kürzester Frist aus dem Amt geworfen hätte. Aber Frau Merkel ist damals nicht allein, und sie handelt vermutlich auch "in höherem Auftrag". Denn - und diese Theorie habe ich schon in "Ein Wettlauf in der Wüste" dargelegt - die Inspiration dazu kommt wohl aus Obamas Weissen Haus. Mit dieser so ausgelösten Entvölkerung Syriens ist, so die Hoffnung, die schon lang angestrebte Entmachtung des syrischen Präsidenten Assad vielleicht doch noch zu erreichen.

Das klingt vielleicht wie eine "typische Verschwörungstheorie", aber die Abläufe, wie sie sich seither ereignet haben, stützen diese Annahme m.E. immer mehr. Von der in 2015 mit viel medialem Getöse eingeforderten "Willkommenskultur" ist längst keine Rede mehr. Diejenigen, die es in 2015 und 2016 wirklich in das "gelobte Land" BRD geschafft haben, werden natürlich nach besten Amtskräften verwaltet und versorgt (und es gibt immer noch viele freiwillige Helfer), aber ansonsten ist die ganze bürokratische Maschine längst in die entgegengesetzte Richtung eingestellt: Da wird abgelehnt, weg-entschieden und ausgewiesen, was das Zeug hält. Und alle nicht-syrischen Aufnahmesuchenden, durch die damalige Entscheidung ja ohnehin zu Flüchtlingen zweiter Klasse degradiert, werden immer rascher und pauschaler abgewiesen.

Leider hat sich der Präsident Syriens so gar nicht in die ihm zugeschriebene Rolle als "Schlächter von Damaskus" einfügen wollen. Statt mit schlechtem Manieren und persönlicher Brutalität wie sein "Kollege" Saddam H. im Irak fällt der ausgebildete Augenarzt Baschar al-Assad eher mit britisch-eleganter Zurückhaltung auf. Und als man den schon im Irak so erfolgreichen Vorwurf der Verwendung von Giftgas auch gegen die syrische Armee erhob, übergab er die gesammelten Giftgasvorräte *2 zur Entsorgung - ausgerechnet an die US-Amerikaner! Bei diesem Schachzug wurde er übrigens von den Russen unterstützt, die ebenfalls als böse Spielverderber tätig sind.

Statt das laizistische und religionstolerante syrische Regime *3 widerstandslos untergehen zu sehen, entschied sich die russische Regierung unter Putin zu begrenztem, aber entschiedenen Einsatz zugunsten der Assad-Regierung.

Spätestens an dieser Stelle wird sich so mancher in Pentagon und Weissem Haus die handzahme russische Regierung unter dem vodkaseligen Boris Yeltzin zurückgewünscht haben.



Aber zurück zu den Sorgen der Angela M. hier in Deutschland. Trotz dem medialen Gerummel um "Willkommenskultur" und "refugees welcome" war es natürlich absehbar, dass ein derartiger Zustrom von Flüchtlingen aus einem ganz anderen Kulturkreis bei vielen Bürgern zu instinktiver Abwehr und Reaktivierung chauvinistischer Reflexe führen würde - und auch zu (teilweise berechtigten) Abstiegs- und Verdrängungsängsten. Und dass dies - trotz der einschlägigen "Bemühungen" der Schwesterpartei CSU - zu reichlich Aufwind für rechtsextreme Parteien führen würde.

Andererseits hatte es auch den für Merkel und die CDU positiven Effekt, dass sich das mehr oder minder "linke" oder "linksliberale" Publikum und die begleitende Journalistik mit Wonne der Bekämpfung des "tumben rechten Mobs" zuwandte.

Trotzdem hat man ein Problem - oder besser man hat sich ein Problem gemacht: eine auf unerhörte 15-20% Stimmenanteil emporschnellende AfD. Und das könnte bei der nächsten Bundestagswahl tatsächlich die Regierungsbildung für die ewige Kanzlerin schwer machen - wenngleich man CDU-seitig zur Not wohl auch mit der Afd "könnte".

Gleichzeitig ist (oder war bis zum Jahresanfang) der so treue Koalitionspartner SPD auf einer Zustimmungs-Talfahrt sondergleichen. Ein Absturz wie bei der "PvdA", dem niederländischen Gegenstück zur SPD, wäre gar nicht auszuschliessen gewesen: Von den 24,8% Stimmen, die die PvdA noch 2012 erhielt, ist sie 2017 auf 5,7% abgestürzt.

Da man schlecht eine Leihstimmenkampagne zulasten der eigenen Partei fahren kann, muss CDU-Chefin Merkel bemüht sein, der Vasallentruppe SPD wenn schon kein zugkräftiges Programm, so doch eine zugkräftige Spitzenperson zukommen zu lassen. Und da man die Mainstream-Zeitungen und das "Staatsfernsehen" ARD+ZDF so gut im Griff hat, kann man etwas für Deutschland recht neues veranstalten: man erfindet einen Kandidaten.

Auftritt Martin Schulz, der sich vom Start seiner Kanzlerkandidatur an einer beispiellosen medialen Unterstützung erfreuen kann. Nun ist Martin Schulz eine reale Person mit einem realen Lebenslauf. Aber als Politiker in Deutschland ist er eine 100-prozentige Kreation, eben eine Erfindung.

Denn abgesehen von seinen ersten politischen Lehrjahren als Bürgermeister hat er seit 1994 sein ganzes Streben dem Aufstieg in der EU-Bürokratie gewidmet. Das hat den impliziten Vorteil, dass er innenpolitisch "unverbraucht" ist und lauthals allerlei sozial klingende Dinge fordern kann, ohne um irgendwelche Konflikte zu früheren Äusserungen besorgt zu sein. "Den Mann gibt es gar nicht, er ist nur der Lärm, den er verursacht" - dieses Tucholsky-Zitat *4 passt auch recht gut auf Martin S. aus Würselen.

Selbstredend, dass alle bislang bekannten Vorschläge des neuen SPD-Kandidaten so vage formuliert sind, dass man einen späteren grosskoalitionären Verhandlungspartner Schulz niemals daran binden kann.



Der mediale "Push", den M. Schulz da geniesst, ist schon erstaunlich. Sicher sind unter den Journalisten, die dem neuen SPD-Vorsitzenden zur Wahl gratulieren, auch einige, die wirklich glauben, da einen "Populisten im besten Sinne" (Heribert Prantl) vor sich zu haben. Dass aber kaum jemanden angesichts des sensationellen 100%-Wahlergebnisses auf dem SPD-Parteitag sehr flau im Magen wird, die Parallelen zu den Pseudo-Wahlen der ehemaligen kommunistischen Parteien (Honecker wäre neidisch!) nicht gezogen werden - das ist sehr bedenklich.

Für mich ist die 100%-Marke kein Zeichen von Geschlossenheit, sondern die endgültige Bestätigung, dass die SPD als Partei tot ist.

Wenn sich die Parteitagsdelegierten nur noch als Akklamations-Truppe verstehen, die die von der Parteiführung vorgegebene Linie (und Personalie) praktisch diskussionslos durchwinken - dann hat die Partei ihre Funktion verloren.

Aber vielleicht muss man wenigstens mit dem Kandidaten Schulz Mitleid haben - denn die grossen Erwartungen, die da nicht wenige vom Partei-Fussvolk jetzt hegen, wird und soll er wohl enttäuschen.

Denn niemand braucht sich der Illusion hinzugeben, mit Schulz würde die SPD die CDU in der Wählergunst überflügeln und somit Martin S. vom Kanzler-Kandidaten tatsächlich zum Kanzler werden. Nicht nur, weil diese Kunstfigur genauso schnell "heruntergeschrieben" werden kann, wie sie jetzt hochgeschrieben worden ist. Sondern auch, weil erkennbar ist, dass das konkrete politsche Ziel von Schulz und der SPD-Führungsriege eine Neuauflage der grossen Koalition ist. Nur in einer GroKo kann man sich so behaglich auf womöglich schon vorgewärmten Ministersesseln breit machen - alle anderen Optionen würden ja ernsthafte Auseinandersetzung mit anderen Parteien (Grüne, Linke...) erforderlich machen, am Ende gar Diskussionen über Sachthemen!



Zwar ist Martin S. als Innenpolitiker in Deutschland praktisch unbekannt, aber es ist natürlich nicht so, dass er seine gesamte Brüsseler Zeit im Winterschlaf verbracht hätte.

Im Gegenteil, gerade als EU-Parlamentspräsident (der ja eigentlich eher neutral aufzutreten hätte) hat er sich meist recht deutlich zu den unterschiedlichsten Themen geäussert. Beim verbalen Holzen gegen Griechenland war er einer der fleissigsten, die Handelsabkommen TTIP, CETA und TISA hat er intensiv verteidigt, die Entmachtung der National-Parlamente kräftig vorangetrieben.

Jene sozialen Themen, mit denen er nun so viel medialen Wirbel verursacht, waren ihm als EU-Politiker herzlich egal. Schliessllich hätte das EU-Parlament ja auch einmal über Arbeitnehmerrechte und Vermögensverteilung reden können...

Ich bekenne: auch für Martin Schulz kann ich kein Mitleid aufbringen.

Also doch für Frau Merkel, weil sie nun (sachlich falsch) vom türkischen Präsidenten mit Nazi-Vergleichen überzogen wird? Nun, wer sich mit Menschenhändlern *5 einlässt, sollte sich nicht wundern, wenn es wie auf dem Sklavenmarkt im Atlanta der Sezessionszeit zugeht.

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Mitleid deshalb eher für das deutsche und europäische Wahlvolk, dem allzuoft nur die Wahl zwischen Pest und Cholera angeboten wird.



(März 2017)



*1 "POTUS" = "President of the United States" - eine mittlerweile auch für Donald Trump benutzte schmähende Abürzung. Auf dem Foto ist übrigens ein anderer POTUS zu sehen (Ronald Reagan), und eine Dame, die den Titel "Zerstörer(in)" viel eher verdient hätte als "the Donald"": die damalige Premierministerin Grossbritanniens, Margaret Thatcher.

*2 Ob da nun tatsächlich alle Giftgasvorräte übergeben wurden, ob - auf Anordnung Assads oder eigenmächtig - einige Fässer doch irgendwo versteckt wurden, ob und welche Mengen schon vorher im Verlaufe der Kampfhandlungen in den Besitz anderer Kriegsparteien kamen - alle diese Fragen werden noch eine Weile unbeantwortet bleiben. Jedenfalls waren die Giftgasvorräte durch die Übergabe an die USA als militärisch bedeutendes Objekt neutralisiert.

*3 Trotz Laizismus und Religionstoleranz zählt vermutlich auch die Assad-Regierung zu den "Mukhabarat"-Regimen, die ohne Geheimdienste und begleitende Repression vielleicht nicht überleben könnten.

*4 Tucholsky über Adolf Hitler in seiner Frühphase.

*5 Die türkische Drohung, demnächst "15000 Flüchtlinge pro Monat" in die EU zu schicken, war interesanterweise ARD und ZDF keine grosse Beachtung wert.