"Staaten pflegen keine Freundschaften,

Staaten haben Interessen!"





1. Evil "Vlad"

Er hat es getan, er, der Fürst der Finsternis, der finstere Kreml-Herrscher - er hat getan, wovor die versammelte westliche Medienwelt seit Monaten gewarnt hat - er hat die Ukraine angegriffen. Am Donnerstag, den 24.02.2022 - ohne Zweifel ein Datum für die Geschichtsbücher. "Putins Krieg" titelt der SPIEGEL, und daran kann ja nun kein Zweifel mehr bestehen -oder? "Niemand weiss, was in Putins Kopf vorgeht", lässt uns Jennifer Psaki, die Pressesprecherin des Weissen Hauses wissen - ein zweifellos wahrer Satz, der aber nur wenig Erkenntnisgewinn bietet, da sich dieselbe Aussage über jeden anderen, auch über Frau Psaki, treffen lässt.

Was ist also los mit dem Kreml-Herrscher? Deutet die schlichte Kurzform "Vlad", die in der Ukraine wohl oft für ihn benutzt wird und die vermutlich auf den historischen walachischen Herrscher Vlad Tepes ("der Pfähler") anspielen soll, am Ende wirklich auf die Wiederkehr eines unmenschlichen Scheusals hin - schliesslich war jener Vlad Tepes Inspiration für die Kunstfigur Graf Dracula, die unzählige Kinozuschauer das Gruseln lehrte?

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Krieg ist für die Betroffenen kein Spass, Krieg bedeutet Tod, Verwüstung, menschliches Leid. Insofern mögen die obigen, leicht ironischen Sätze manchem deplaziert vorkommen. Deshalb sei zur Klarstellung gesagt: Jedes Menschenleben, dass durch diesen Krieg (oder andere Kriege) genommen oder beschädigt wird, ist eines zuviel. Krieg sollte kein Mittel der Politik sein. Genau diese Ächtung des Krieges hätte die Lehre aus dem Gemetzel der Weltkriege sein müssen, aber offenbar hat es die Menschheit in den Jahrzehnten danach immer noch nicht vermocht, Kriege endgültig zu verbannen.



2. "Me and Putin"

Auch ich kann bestenfalls erahnen, was in den Köpfen der Menschen vorgeht, die sich - wieder einmal - in Keller oder Bunker verziehen müssen, weil Sirenen heulen oder Granaten einschlagen (in der "blau-gelben" Ukraine ebenso wie in den Volksrepubliken Donetsk und Lugansk). Allerdings hat Herr Putin auch mir persönlich etwas angetan, denn er zwingt mich zu einem ansonsten selten vorkommenden Ereignis, nämlich zur Revision eines Satzes aus einem "Truth-or-Consequences"-Text. Vor rund 3 Wochen hatte ich geschrieben: "[dass es] eigentlich gar keinen "casus" gibt - keine Invasion, keine Raketen- oder Bomben-Angriffe, nichts."

Nun ist der "casus" unübersehbar da; die Invasionstruppen, die ich auf den bis dato veröffentlichten Satellitenbildern von Lkw-Stellplätzen nicht erkennen konnte, haben sich doch irgendwie materialisiert. Allerdings - und das war mir auch damals schon klar - kann eine typische Landstreitmacht, die ihre Streitkräfte aus naheliegenden Gründen an zahlreichen Stützpunkten an den Landesgrenzen stationiert hat, natürlich dieselben sozusagen aus dem Stand heraus an und über die Landesgrenzen hinaus beordern.

Völkerrechtlich ist der casus ebenfalls klar: Russland hat ein anderes, nach allen üblichen Regeln unabhängiges Land militärisch angegriffen, ohne zu dieser Gewaltanwendung etwa durch ein Mandat des UN-Sicherheitsrates ermächtigt gewesen zu sein. Ein verbotener Angriffskrieg also.



3. Mediale Einmütigkeit

Angesichts der Sachlage werden viele die Einmütigkeit, mit der - soweit ich das beurteilen kann - die meisten Mainstream-Medien Russland und Putin verurteilen, nicht für auffällig halten. Dass da argumentiert und "berichtet" wird, als seien wir, die BRD, selber Kriegspartei, könnte schon etwas stutzig machen. Und noch auffälliger ist die betont emotionale Darstellung von Einzelschicksalen, wenn etwa über auseinandergerissene Familien oder in U-Bahn-Stationen übernachtende Bürger Kiews berichtet wird.

"Wo alle dasselbe denken, wird nicht viel gedacht." Dieser schöne Satz Karl Valentins trifft natürlich auch wieder auf die politsche und mediale Darstellung des Konfliktes hier in Deutchland zu. Versuchen wir also, diese Kriegs-Propaganda - und eine solche ist es zweifelsfrei - einmal beiseite zu schieben und nüchtern und kühl über den Konflikt und seine Voraussetzungen nachzudenken. Und der von mir schon mehrfach zitierte Satz General de Gaulles soll dabei unsere Richtschnur sein: "Staaten pflegen keine Freundschaften, Staaten haben Interessen !"



4. Vom Ende her denken...

Seit Monaten werden wir von Politikern und Medien mit der Formel "wenn Russland angreift, dann beschliessen wir Sanktionen" eingedeckt. Der "Wertewesten" also abwartend und nur auf mögliche Schrecklichkeiten Russlands reagierend. Allerdings spricht z.B. unser Bundeskanzler schon seit Wochen von "sorgfältig vorbereiteten Sanktionen". Über die Wirkung der Sanktionen gegen Russland sagte Aussenministerin Baerbock laut dpa:"Das wird Russland ruinieren.". Und als offizielle Stellungnahme darf diese Aussage der Sprecherin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 24. Februar gelten: "Das Ziel der Sanktionen ist es, die russische Wirtschaft zu beeinträchtigen und die Modernisierung der Kapazitäten des Landes zu erschweren." Könnte es sein, dass der Wunsch, umfangreiche Massnahmen zur Schwächung der russischen Wirtschaft in Kraft zu setzen, zuerst da war, und die Rechtfertigung dazu, also die Deklarierung als "Sanktionen" für russische Agressionen, erst im Nachlauf sozusagen installiert werden musste?

Schauen wir also auf die Interessen. Bei den USA sind ja die Bemühungen, die NordStream2-Pipeline zu sabotieren, seit Jahren augenfällig. Dahinter steht zum einen das verständliche Interesse, den einheimischen Erdgasproduzenten neue Absatzmärkte zu erschliessen, auch wenn der dazu notwendige Umweg über Verflüssigung (LNG) das US-Produkt eigentlich preislich chancenlos machen würde. Eher unter "foul play" fällt die Absicht, diese Absatzerweiterung durch vorsätzliche Ausschaltung eines wirtschaftlichen Konkurrenten, hier also der russischen Gaskonzerne, erreichen zu wollen.

Weiterreichend ist die Absicht, die russische Wirtschaft insgesamt schädigen zu wollen, worauf ja u.a. die Finanzsanktionen und die Exportbeschränkungen zielen. Wenn unsere Aussenministerin dabei betont, man wolle dabei den Menschen in Russland "nicht schaden", wird das bei den meisten Russen auf Unverständnis stossen. Diese haben nämlich - im Gegensatz zu unserer wohlbehütet aufgewachsenen Ministerin - den Absturz der eigenen Wirtschaft ins fast Bodenlose schon einmal "live" erleben können, nämlich in den 1990er Jahren als Folge der von US-Beratern empfohlenen Schocktherapie bei der Umwandlung der ehemaligen Staatsbetriebe.

Hier geraten wir schon in den Bereich der geostrategischen Ziele. So würde die angestrebte Aufnahme der Ukraine in EU und NATO einen weiteren "Frontstaat" schaffen, der als williger Träger von z.B. atomaren Mittelstreckenwaffen dienen könnte. Im Gegensatz zu Kuba 1962 würde dieser Raketenstützpunkt auch nicht z.B. durch eine einfache Seeblockade unter Druck zu setzen sein. Da ja nicht nur in den Köpfen mancher US-Militärs, sondern auch in zahlreichen strategischen Planungen des Pentagons - schon seit Ende des zweiten Weiltkriegs - immer wieder der Gedanke eines überraschenden "Enthauptungsschlages" gegen den "Erzfeind" zirkuliert, werden die diesbezüglichen Befürchtungen der Russen schon verständlich.

Damit sind wir bei den Interessen Russlands: Diese sind im Gegensatz zu denen der USA sogar schriftlich ausformuliert und in Form der Vertragsentwürfe (an USA und NATO) vom Dezember letzten Jahres öffentlich zugänglich. Da beide in relativ verständlichem Englisch verfasst und mit jeweils etwa 3 Seiten auch nicht übermässig lang sind, ermuntere ich meine Leser, sich "ad fontes" zu begeben und dieselben hier und hier in Augenschein zu nehmen.

Sehr kurz zusammengefasst auf drei Punkte: a) Keine der Parteien soll sich einen "Sicherheitsvorteil" auf Kosten der Sicherheit der anderen Partei verschaffen. b) Folgerichtig soll die NATO keine weiteren Mitglieder mehr aufnehmen, wobei explizit die Ukraine genannt wird. c) Die NATO soll Waffen und Einheiten in Osteuropa auf die Linie zurücknehmen, die 1997 gegeben war (also vor der Aufnahme der osteuropäischen Länder Tschechien , Ungarn, Polen, Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, Albanien, Kroatien, Montenegro, Nord-Mazedonien).

Mindestens die ersten beiden Punkte dürften, wenn die NATO wirklich um Friedenserhaltung bemüht wäre, eigentlich leicht zu akzeptieren sein. Der dritte Punkt bezieht sich ganz offensichtlich auf die zwar in diversen Protokollen, aber eben nie vertraglich fixierte Zusage der "alten" NATO-Staaten (anlässlich der Verhandlungen zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten), die NATO definitiv nicht weiter nach Osten ausdehnen zu wollen.

Übrigens hat Russland diese Interessen ähnlich auch schon lange vorher, z.B. im Jahre 2008 unter dem damaligen Präsidenten Medwedjew, den NATO-Ländern zur Kenntnis gebracht.

Welche Interessen haben wir hier noch nicht aufgeführt? Dies wären die Interessen der Staaten Europas und eben auch Deutschlands. Während dieselben im Vertragsentwurf Russlands auch durch die Referenz auf die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von 1975 angesprochen sind, scheinen sie bei den Aktionen der US-Regierung kaum Relevanz zu haben (auch wenn beständig die "hervorragende Koopperation mit unseren europäischen Partnern" beschworen wird). Am augenfälligsten war das vielleicht bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Biden und Scholz Anfang Februar in Washington, als der Präsident für den Fall einer "erneuten" Invasion erklärte: "...there will be no longer a NordStream2. We will bring an end to it.", und der deutsche Kanzler dazu keine scharfen Worte der Erwiderung fand (siehe hier). Auch die Tagesschau schien nicht einmal zu bemerken, welche ungeheue Einmischung der US-Präsident in die inneren Angelegenheiten Deutschlands da ankündigte.



5. Verkürzte Geschichte und Krokodilstränen

Unsere deutschen selbsterklärten Qualitätsmedien scheinen ohnehin - ob nun mit dem ersten oder zweiten Auge - nur eine reichlich verkürzte Version der Geschichte in der Ukraine erblicken zu können. Demnach war die unschuldige Ukraine im Jahre 2014 "urplötzlich" von zwei Seiten bedroht: Im Süden von der die Krim "annektierenden" russischen Föderation, im Osten von den "russisch gesteuerten Separatisten" in Donetsk und Lugansk.

Zur Krim habe ich schon anderweitig geschrieben. Zu den Ukrainern allgemein wäre mindestens festzuhalten, dass in den letzten Umfragen vor dem sogenannten "Euro-Maidan" sich rund ein Drittel als ethnische Russen begriffen und sogar zwei Drittel Russisch als ihre Muttersprache angaben. Gerade den Westdeutschen, jahrzehntelang in einem sprachlich recht homogenen Land lebend, fehlt vermutlich ein Gespür dafür, wie tief gerade die Sprachengesetze der Post-Maidan-Regierungen das Land spalteten.

Versuchen wir eine Übertragung in deutsche Verhältnisse: In Schleswig-Holstein lebt eine recht ansehnliche Minderheit von Dänen. In den Gesetzen sind eine Reihe von Sonderregeln zum Schutz dieser Minderheit verankert, u.a. gilt für die politische Vertretung der Dänen im Landtag, den "Süd-Schleswigschen Wählerverband" SSW, die 5%-Hürde nicht. Interessanterweise hat der SSW bei Landtagswahlen verschiedentlich weit mehr Wählerstimmen auf sich vereinigen können, als die dänische Minderheit überhaupt umfasst (ca. 50'000 Schleswig-Holsteiner), wurde also auch von nicht-dänischstämmigen Bürgern gewählt.

Stellen wir uns eine politische Situation vor, in der der SSW (etwa durch einen Skandal in der Art der Barschel-Affäre, aber diesmal alle Altparteien umfassend) plötzlich und überraschend zur Regierungspartei würde. Und in einem Akt plötzlicher Hybris *1 würde diese Regierung ein Sprachengesetz mit zwei Hauptpunkten verabschieden, nämlich dass Dänisch nunmehr alleinige Amtssprache sei, und dass binnen kürzester Frist der Unterricht an allen Schulen nur noch auf Dänisch zu erfolgen habe. Wie würden wohl die nicht-dänischsprechenden Schleswig-Holsteiner auf so etwas reagieren? Würden sie das einfach so hinnehmen, oder würden sie das als unglaublichen Angriff auf ihre Identität auffassen? Würden da nicht sehr viele protestierend vor den Landtag oder die Rathäuser ziehen?

Mit diesem Beispiel mag die Situation der ethnischen Russen in den Ost-Regionen der Ukraine nach den von den Post-Maidan-Regierungen beschlossenen Sprachengesetzen vorstellbar werden. Auch dort fanden Proteste statt, die schliesslich in Rathausbesetzungen mündeten. Wie antwortete die neue Zentralregierung darauf? Sie schickte Panzer und Truppen in die Ost-Regionen. Schliesslich wurde daraus eine regelrechte Militäroffensive *2, die sich irgendwann 2014 festfrass, um 2015 noch einmal voll aufgenommen zu werden. Womit wir auch schon bei einer der ersten Lügen wären, die jetzt in ARD und ZDF verbreitet werden: Es herrscht eben nicht "zum erstenmal seit 80 Jahren Krieg in Europa", der war eben schon 2014 ausgebrochen (und der NATO-Yugoslawien-Krieg von 1999 wird mit dieser Phrase gleich mit zugedeckt).

Wie heuchlerisch jetzt auf allen Kanälen Anteilnahme mit den ukrainischen Menschen simuliert wird, zeigt sich am Vergleich mit anderen Krisen: Wo war das Mitleid mit den Bombenopfern in Lybien, Irak, Syrien? Den durch Drohnenanschläge Ermordeten in Afghanistan oder Iran? Den erbarmungslos bombardierten Bewohnern im Gaza-Streifen? Und auch: Warum wurde das Leid der seit 8 Jahren unter Beschuss liegenden Bevölkerung in Donetsk und Lugansk medial so vollkommen ausgeblendet?

Ein Zyniker könnte einwenden, dass nun wenigstens das durch die Umsetzung der Corona-Massnahmen tief gespaltene deutsche Volk in der (mindestens medial) einmütigen Verurteilung des Kreml-Herrschers wieder vereint sei.



6. Eine Spekulation

Die folgenden Sätze sind notgedrungen spekulativ, wer willl, kann sie auch mit dem Aufkleber "Verschwörungstheorie" versehen. Letzlich sind sie ein Versuch, die bislang sicherlich unvollkommen zutage getretenen Fakten sowie die erklärten oder anzunehmenden Interessenlagen der Akteure in einen sinnvollen Zusammenhang zu betten - statt einfach alles einem von den Medien bereitgestellten Buhmann anzulasten.

In Absatz 4 habe ich die Interessenlage auch der USA dargestellt. Wenn tatsächlich das umfassende Sanktionsregime gegen den "Feind" Russland in den Grundzügen schon beschlossen war, musste es darum gehen, Russland zu einer halbwegs eindeutigen militärischen Grenzverletzung zu bringen. Von ihrer Führung verlangen die Russen durchaus auch ein Eintreten für die Belange der in anderen Republiken lebenden Russen, gerade auch mit Blick auf die z.B. aus den baltischen Staaten durch repressive Massnahmen vertriebenen ethnischen Russen. So war auch die bislang zurückgehaltene Anerkennung der "Volksrepubliken" Donetsk und Lugansk ein stetiger innenpolitischer Kritikpunkt, auch in der Duma (Parlament). Ein nochmaliges Vordringen der ukrainischen Armee oder der paramilitärischen, rechtsextremen Einheiten in die betreffenden Gebiete, so war wohl das Kalkül, würde vielleicht eine solche Reaktion auslösen. Durch eine erhebliche Aufrüstung der ukrainischen Seite würde man das beschleunigen können.

Im Idealfall würde Russland den Köder schlucken, mit einer begrenzten Streitmacht in den Donbass einmarschieren und damit die so gut vorbereiteten Sanktionen auslösen wie mit einem Stolperdraht. Als weiteren Pluspunkt könnte man mit geschickt bemessener Zufuhr der "richtigen" Waffen die Russen in einen langwierigen Guerillakrieg mit Kämpfen Dorf um Dorf, Strasse um Strasse, verwickeln - wie ehemals in den 1980er Jahren in Afghanistan.

Den Marketingexperten im Pentagon dürfte klar gewesen sein, dass eine anlasslose Aufrüstung der Ukraine schwer zu rechtfertigen sein würde - also wurde die monatelange Kampagne "Russland plant Invasion" gefahren und damit der Weg für zunächst kleine, schliesslich immer grösser werdende Waffenlieferungen geschaffen.

Die These wäre also, dass letztlich eine gut präparierte Falle für den "russischen Bären" aufgestellt worden war.

Zwei Umstände sind m.E. starke Indizien, dass es so geplant gewesen sein könnte: a) Es wurden und werden zwar tonnenweise Kleinwaffen, Munition, Panzerabwehrraketen und Stinger-Boden-Luft-Raketen in die Ukraine geliefert - allesamt ausgesprochen Guerillakriegs-tauglich. Grossgerät wie Panzer oder Hubschrauber scheint dagegen zu fehlen, ebenso wie Flugabwehr-Systeme (wie z.B. die seit Golfkriegs-Zeiten bekannten Patriot-Einheiten). b) Sehr früh und mehrfach wurde angekündigt, dass mindestens die USA keine Kampftruppen in die Ukraine entsenden würden. Möglicherweise eine verkappte "Einladung", wie sie in ähnlicher Form Saddam Hussein vor der Kuweit-Invasion erhielt (damals wurde von der US-Botschaft in Bagdad ebenfalls US-Desinteresse signalisiert).



7. In der Falle?

Ist also der "Bär" planlos in die Falle hineingestolpert? Mir erscheint es unwahrscheinlich, dass zwei so erfahrene Politiker wie Putin und Lawrow, von ebenso routinierten Apparaten unterstützt, nicht irgendwann die Gefahr erkannt haben sollten. Somit stand man in Moskau, wie so oft in der Aussenpolitik, vor der Wahl zwischen "the disastrous or the unpalatable" *3 ("dem Desaströsen oder dem Ungeniessbaren"). Was erfuhr man aus dem Besucherreigen westlicher Staatschefs, die sich in den Wochen vor dem 21.Februar in Moskau die Klinke in die Hand gaben? Jedenfalls offenbar nichts Substantielles, weder in Bezug auf die Vertragsentwürfe vom Dezember noch auf die doch eigentlich unbedingt notwendige Abrüstung der Ukraine.

Und hier spekuliere ich wieder: Hat man daraufhin in Moskau beschlossen, wenn Russland ohnehin schon als Ziel der "allerhärtesten Sanktionen" auserkoren war, lieber gleich "Nägel mit Köpfen" zu machen und an der Ukraine ein Exempel zu statuieren? Dass hier nun endgültig die schon mehrfach angekündigte rote Linie überschritten sei? Also eine "message to friend and foe alike", wie es in einer berühnten Rede *4 heisst?

In gewisser Weise hätte die Ukraine dann leider das "Pech" gehabt, das letzte Glied in einer langen Kette von NATO-Grenzüberschreitungen gewesen zu sein. Und auch bemerkenswert: Die so lange herausgeschobene Anerkennung der Volksrepubliken erfolgte, umfangreich begründet, am Montag. Der Angriff jedoch erfolgte erst am Donnerstag, mithin hätte Präsident Selensky 2-3 Tage Zeit gehabt, nun doch endlich - wie vom Minsk-Abkommen verlangt! - direkte Verhandlungen mit den Volksrepubliken aufzunehmen. Um es salopp auszudrücken: Wäre ihm ein Zacken aus der Krone gebrochen, wenn er doch mit den Rebellenführern telefoniert hätte?

Apropos Krone: Wären US-Aussenminister Blinken oder Frankreichs Präsident Macron ebenfalls irgendwelche Zacken aus der Krone gebrochen, wenn sie ihren Gastgebern eine ernsthafte Diskussion über die russischen Vertragsentwürfe, etwa in Form einer Konferenz über die Sicherheitszusammenarbeit in Europa, angeboten hätten? Diese vermutlich letzten Gelegenheiten zur friedlichen Beilegung des Konfliktes schlug man offenbar aus. Erwartete man statt dessen eine Ergebenheitsadresse der russischen Führung?

Worauf wollte Russland hinaus? Konkret für die Ukraine wäre eine Zukunft als neutraler Staat vorgesehen gewesen. Wenn man an die Beispiele Schweden, Finnland, Österreich oder Schweiz denkt, die allesamt neutral waren oder noch sind, dann scheint Neutralität kein Hindernis für eine prosperierende Wirtschaft und innerlich befriedete Länder zu sein, eher im Gegenteil. Hat irgendjemand in Kiew daran gedacht, einmal die eigene Bevölkerung über diese Schicksalsfrage z.B. in einem Referendum abstimmen zu lassen?



8. Risiken

"War is a procedure from which there can be no turning back without acknowledging defeat." *5 schrieb Barbara Tuchman über die Eskalation des Vietnamkriegs unter der Präsidentschaft Lyndon B. Johnsons. Die russische Führung mag andere Historiker lesen, die Risiken eines offenen Krieges auf dem Gebiet der Ukraine werden ihnen bewusst gewesen sein. Vielleicht wurde aber gerade die Gefahr, in einen endlosen Guerillakrieg im Osten der Ukraine verwickelt zu werden, als so gross angesehen, dass man lieber den Krieg unter den eigenen Bedingungen begann.

Spekulationen über den weiteren Kriegsverlauf anzustellen, ist aber zum jetzigen Zeitpunkt müssig, zumal keine Seite noch Interesse an neutraler Berichterstattung hat. Der alte Satz "Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit" stimmt eben immer noch.



9. Zorn ...

Der durchaus gerechtfertigte Zorn, den viele angesichts des neuerlichen Ausbruchs kriegerischer Gewalt verspüren, wird von der westlichen Medienmaschine sehr geschickt auf eine Person umgeleitet: Putin! Putin! Putin! Es trifft sich gut, dass der typische Westeuropäer mangels Russischkenntnissen weder Putin noch alle anderen Russen versteht, der O-Ton wird immer weggeblendet. US-Präsident Bidens Englisch können hingegen, trotz schludriger Artikulation, zahlreiche West-Medienkonsumenten ohne Übersetzung verstehen.

Zehntausende oder gar Hundertausend sollen sich z.B. in Berlin zu Demonstrationen gegen den Krieg versammelt haben. Den echten Friedenswillen will ich den meisten davon garnicht absprechen, nur sind sie ja eigentlich 8 Jahre zu spät, denn der Donbass-Krieg begann ja 2014 und wurde - vor allem von Kiew - in niedriger Intensität am "Köcheln" gehalten. Eigentlich sind sie sogar 11, 19, 21 oder 23 Jahre zu spät - wenn wir an Lybien, Irak, Afghanistan oder Yugoslawien denken. Richtig, bis auf Yugoslawien fand keiner "mitten in Europa" statt, aber an allen waren europäische NATO-Staaten beteiligt. Gab es damals etwa seitens der Gewerkschaften Aufrufe zu Friedensdemos? Mir sind keine erinnerlich.

Die ansonsten bei jedem "Spaziergang" mit aller Härte eingeforderten "Corona-Schutzmassnahmen" scheinen übrigens bei diesen Demos keine Rolle zu spielen. Dazu passt, dass die Ukraine noch am Wochenende von der Liste der "Hochrisikogebiete" gestrichen wurde. Sicherlich eine positive Nachricht für potentielle Einreisende aus der Konfliktzone, aber auch ein Zeichen dafür, dass sich unsere Regierung und Behörden auch diese Regeln so zurechtlegen, wie es ihnen passt - ziemlich unabhängig von angeblichen oder realen Gefahrenlagen.

Apropos Gefahr: Wird man die ukrainischen Flüchtlinge auf Mitgliedschaft in Vereinigungen wie "ASOW-Bataillion" oder "Rechter Sektor" überprüfen? An rechtsextremer Radikalität können es die genannten Organsisationen vermutlich durchaus mit dem NSU aufnehmen.



10. … und Ohnmacht

Ein tiefes Ohnmachtsgefühl ergreift mich angesichts der so perfekt im Gleichschritt organisierten Medienmaschine, die jeden nüchternen Gedanken mit Kriegspropagande überflutet oder geradezu wegspült. Der Bundestag war am letzten Sonntag geradezu im Kriegsrausch, beschloss Waffenlieferungen ins Krisengebiet (vermutlich immer noch illegal nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz) und phänomenale Etaterhöhungen für die Bundeswehr. Das alles in vorgeblicher Solidarität zur "heldenhaften" Ukraine. Am Schluss wurde gar dem ukrainischen Botschafter in Berlin, Herrn Melnyk, mit "stehendem Applaus" gehuldigt. Jenem Melnyk, der die letzten Wochen ganz und gar undiplomatisch mit Beschimpfungen allerlei deutscher Persönlichkeiten zubrachte und als Bandera-Bewunderer in Nadelstreifen gilt.

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Das Betrachten der angeblichen "Informationssendungen" zu diesem Thema im deutschen Fernsehen kann man eigentlich nicht mehr anraten. Wie sich also informieren? Vielleicht zu den Sendern etwas neutralerer Staaten wechseln? Hier im Freiburger Kabelnetz wären z.B. Al Jazeera (Quatar) oder CGTN ("Rot"-China) vielleicht Alternativen, setzen allerdings einigermassen gute Englischkenntnisse voraus. Im Internet sind die NACHDENKSEITEN nach wie vor eine gute Quelle. Auch aus manchen Kabarettisten sind, nachdem sich die Realität zunehmend in "Realsatire" gewandelt hat, erstaunlich gute "Nebenberufs-Journalisten" geworden, in den USA z.B. Jimmy Dore. Ganz Mutige könnten sogar die "Feindsender" selbst zur Kontrolle konsultieren, also etwa RT international.

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Die Hoffnung auf Frieden sollte man sicher nicht aufgeben. Man kann den Betroffenen nur wünschen, dass der Krieg bald beendet wird. Waffenlieferungen in Krisengebiete, das dürfte die Geschichte lehren, verlängern Kriege jedoch nur.


(28.Februar 2022)



*1 Bei den dänisch-stämmigen Schleswig-Holsteinern muss ich mich entschuldigen, dass ich ausgerechnet sie für dieses Beispiel ausgesucht habe. Mein (begrenzter) Wissensstand zu denselben und zum SSW deutet darauf hin, dass dieselben zu so einer grotesken Hybris wohl nicht fähig wären, sondern im Gegenteil sehr offene und tolerante Mitmenschen sind.

*2 In Donetsk und Lugansk bildeten sich schnell Volksmilizen, die sowohl personell als auch materiell auf die dort natürlich vorhandenen Militärstützpunkte der ukrainischen Armee zurückgriffen. Inwieweit da aus Russland Unterstützung gewährt wurde, lässt sich im Nebel der wechselseitigen Anschuldigungen kaum feststellen. Reguläre russische Truppen haben aber nach derzeitigem Kenntnisstand wohl nicht an den Kämpfen teilgenommen.

*3 Auch diese treffende Formulierung findet sich bei Barbara Tuchman.

*4 "Eine Ankündigung an Freunde und Feinde gleichermassen" (aus der Amtseinführungs-Rede von US-Präsident Kennedy)

*5 "Krieg ist eine Prozedur, von der man sich nicht einfach zurückziehen kann, ohne gleichzeitig eine Niederlage einzugestehen."


www.truthorconsequences.de