Von falschen Philosemiten und echten Generälen



1. Berliner Mode

Vielen wird aufgefallen sein, dass es unter (männlichen) Regierungsvertretern aller Parteien Mode geworden zu sein scheint, sich bei manchen öffentlichen Anlässen mit einer Kippa, der traditionellen Kopfbedeckung gläubiger Juden, sehen zu lassen. Die Anlässe haben gemeinsam, dass sie etwas mit Juden bzw. dem Judentum zu tun haben - Besuche an Gedenkstätten, in Synagogen, zu Festlichkeiten wie etwa dem "Hanukkah"-Fest. Man sah nicht nur Bundespräsident Steinmeier, sondern auch Kanzler Scholz oder auch Ministerpräsidenten wie Söder mit der Kippa. Und natürlich sollen sie als Ausdruck besonders inniger Solidarität mit den Juden, insbesondere nach dem Hamas-Angriff von 7. Oktober 2023, verstanden werden.

Eine Pflicht zum Tragen einer Kippa gibt es aber noch nicht einmal in allen Synagogen, und auch Yad Vashem, die Holocaust-Gedenkstätte in Israel, begnügt sich in Ihrer Besucherinfo mit dem Hinweis "Bitte kleiden Sie sich beim Besuch von Yad Vashem respektvoll." Frühere Kanzler und Bundespräsidenten der BRD haben darum ihren Respekt deshalb auch mit einer anderen Kopfbedeckung, typischerweise einem schlichten Hut, bezeugt.

Das war auch durchaus folgerichtig, denn in den entsprechenden religiösen Schriften geht es immer nur allgemein um eine Kopfbedeckung, die Kippa (als auf das absolute Minimum reduzierte Kopfbedeckung) wird so nicht erwähnt. Wieso nun meinen unsere politischen Eliten, unbedingt eine Kippa bei diesen Veranstaltungen tragen zu müssen? Haben sie sich damit nicht, mindestens von der Warte der "woken Kultur" aus gesehen, des Vergehens der "kulturellen Appropriation" (kulturellen Aneignung) schuldig gemacht? Dieses Argument hat auch schon 2018 ein Armin Langer in einem Spiegel-Artikel (www.spiegel.de) vorgetragen, und er zitiert darin einen prominenten Rabbiner: "Wer nicht jüdisch ist und die jüdische Religion achten will, trägt keine Kippa."

Noch problematischer erscheint dieses demonstrative Tragen der Kippa, wenn es durch Personen wie Scholz, die bislang nicht durch besondere religiöse Empfindsamkeit aufgefallen sind, vorgeführt wird. Aber "Vorführung" ist das richtige Stichwort: Es geht wieder einmal weniger um Inhalte als um das Erzeugen von Bildern für die Medien, die eben "unverbrüchliche Solidarität mit den Juden" darstellen sollen. Und in der praktischen Politik bedeutet das Solidarität mit der israelischen Regierung, und die Übernahme der dortigen Deutung des aktuellen Gazakriegs als "gerechtfertigte Selbstverteidigung".

Auch die Berichterstattung über die so scheinbar aus dem Nichts organisierten Demonstrationen "gegen Rechts" soll wohl vermitteln, wir hätten es bei der aktuellen Bundesregierung (und den meisten Medien) offenbar mit lauter "Anti-Antisemiten" oder eben Philosemiten zu tun. Ob dem wirklich so ist? Dazu später...



2. Kaninchen aus dem Hut

Im Jahre 2018 besuchte die damalige Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel Israel. Vom "Kippa-Gebot" war sie aus naheliegenden Gründen wohl befreit *1. Dabei durfte Sie u.a. vor der Knesset, dem israelischen Parlament, reden, und bedankte sich auch artig dafür, "dass ich in meiner Muttersprache heute zu Ihnen sprechen darf" *2. Schliesslich fand sie diese Formulierung, die auch heute wieder von unserer Regierung allerorten wiederholt wird: "Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar."

Ein in mehrfacher Hinsicht merkwürdiger Satz. Idealerweise sollte eine "Staatsräson" in der Verfassung oder aber anderen grundlegenden Dokumenten (hierzulande gerne "Weissbücher" genannt) definiert sein - und zwar nach gründlicher demokratischer Debatte. Frau Merkel hat jedoch ihre "Israel-Staatsräson" hervorgezaubert wie das Kaninchen aus dem Zylinder: Zack - da war sie. Und das Objekt ihrer "Räson" war auch nicht irgendetwas unmittelbar mit dem Wohle des eigenen Volkes Verknüpftes, sagen wir etwa Zugang zu eisfreien Häfen *3, sondern die "Sicherheit" eines fremden Staates. Dabei ist nun gerade im Falle Israels festzustellen, dass die dortigen Regierungen selbst bei der Herbeiführung von "Sicherheit" offensichtlich permanent scheitern. Wie nun also ausgerechnet die BRD eine Art Sicherheitsgarantie geben können sollte, hat Frau Merkel nie erläutert.

Nun ist Merkels Hinweis auf die "historische Verantwortung Deutschlands" durchaus berechtigt, sogar löblich. Allerdings in der Reduktion auf Israel schon historisch falsch, denn den Staat Israel gab es ja zur Zeit der NS-Herrschaft noch gar nicht. Wenn wir Deutschen eine historische Verantwortung haben, dann gegenüber den Juden, und zwar weltweit und nicht nur gegenüber den Juden in Israel. Sollten einmal z.B. die Juden in New York sich systematischer Verfolgung ausgesetzt sehen, so wären wir selbstverständlich zu Protest und Hilfe verpflichtet. Und sage niemand, dass Judenverfolgung in New York per se undenkbar wäre - gerade die USA haben eine lange Geschichte von rassisch oder religiös motivierten Verfolgungen, bei denen ganz unterschiedliche Gruppen zur Zielscheibe wurden.

Und wenn wir das zu Ende denken, dann müsste gerade unsere historische Erfahrung mit der Judenverfolgung für uns Anlass sein, allen unterdrückten Minderheiten Unterstützung zu gewähren. Oder immer dann einzuschreiten, wenn jemand "wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache , seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen" benachteiligt wird - wie es in unserem Grundgesetz in vorbildlicher Klarheit in Artikel 3 formuliert ist.



3. Empörung allerorten

Volker Beck ist empört. Oft. Sehr oft. Der prominente Grünen-Politiker war 2013 empört darüber, dass das Magazin DER SPIEGEL eine Jugendsünde (?) von ihm aus dem Jahre 1988 ausgegraben hatte. In der sicher nicht "Grünen-feindlichen" Zeitung TAZ wurde der Vorgang wie folgt zusammengefasst *4: "Konkret ging es um einen Text, den der langjährige Grünen-Abgeordnete Volker Beck 1988 für den Sammelband 'Der pädosexuelle Komplex' geschrieben hat. Darin hielt Beck die 'Entkriminalisierung von Pädosexualität' (also von Sex mit Kindern) für 'dringend erforderlich'." Zwischenzeitlich hatte sich Beck von besagtem Text öffentlich distanziert und das so auf seiner eigenen Webseite publiziert. Die Wieder-Veröffentlichung durch den SPIEGEL hielt Beck jedoch für nicht rechtens und löste einen Rechtsstreit aus, der sich bis zum letztinstanzlichen Urteil des BGH im Jahre 2020 hinzog. Über dieses Urteil zeigte sich Beck prompt "enttäuscht" *5.

Im November 2022 war das nächste Objekt der Empörung eine Veranstaltung des Goethe-Instituts in Israel *6.

Seit Herbst 2023 ist Beck fast schon in Dauer-Empörung. Da war der Fall von Greta Thunberg, die sich plötzlich - "Freund" wie "Feind" überraschend - für Solidarität mit den Palästinensern ausgesprochen hatte *7. Thunberg sei damit zur "hauptberuflichen Israelhasserin" geworden, befand der nebenberufliche (?) *8 Israel-Lobbyist Beck.

Auch um den deutschen Fussball und dessen rechte Haltung zu Israel ist Beck besorgt, und musste deshalb wohl auch Strafanzeige gegen den FC-Bayern-Spieler Mazraoui wegen angeblicher Billigung von Straftaten stellen *9. Und folgerichtig forderte Beck im Januar dieses Jahres auch als einer der ersten, alle Zahlungen an die UNRWA (das UN-Flüchtlingshilfwerk für Palästinenser) einzustellen - diesmal wegen von Israel behaupteter Verbindungen von einzelnen UNRWA-Mitarbeitern zur HAMAS *10. Wie man sieht, kennt Herr Beck kein Pardon, wenn es irgendjemand an der von ihm geforderten vollen "Solidarität mit Israel" fehlen lässt.

Vielleicht nicht so extrem wie Beck haben sich auch viele andere Politiker des "offiziellen Berlins" eindeutig für eben diese "Solidarität mit Israel" ausgesprochen. Schliesslich hat sich die Bundesregierung in dem Völkermord-Verfahren zum Gaza-Krieg vor dem Internationalen Gerichtshof "nochmals klar an die Seite Israels gestellt", wie die Frankfurter Rundschau meldet *11. Was aber, wenn dieser Gerichtshof Israel schliesslich doch des Völkermords für schuldig befinden sollte?

Im Moment scheint Deutschland jedenfalls voller Philosemiten zu sein, die, wenn sie nicht gerade Kippa-tragend zur nächsten Gedenkveranstaltung laufen, sich auf den angeblich spontan gebildeten Massen-Demonstrationen versammeln, um wieder "Haltung" zu zeigen - und zwar "die richtige".



4. Ein israelischer General

Miko Peled ist "Der Sohn des Generals", wie er sein Buch *12 von 2016 schlicht und einfach betitelt hat. Hierzulande ist sein Vater Matti Peled weit weniger bekannt als dessen Offizierskollege Mosche Dayan (der mit der Augenklappe). Für den Erfolg des Sechstagekrieges von 1967 war Matti Peled jedoch kaum weniger verantwortlich als der publicity-gewandte Dayan. Manche halten gerade die strategisch-logistische Vorbereitung des Sechstagekrieges, für die General Peled verantwortlich war, für entscheidend. Im Ergebnis besetzte Israel ab 1967 weite Teile ehemals palästinensischer, ägyptischer und syrischer Gebiete.

Schon am Unabhängigkeitskrieg von 1948 hatte Matti Peled als junger Offizier teilgenommen - nicht überraschend für jemanden, der schon 1939 der Palmach, der Kampfgruppe der Haganah, beigetreten war. Aus der Zeit stammt auch der angenommene Name "Peled", was in hebräisch "Eisen" bedeutet. Ob sich der junge Matti da unbewusst vom ebenfalls als Kampfname entstandenen "Stalin" (der "Stählerne") hatte inspirieren lassen?

Interessant für unser Thema ist jedoch der weitere Lebensweg Matti Peleds, denn nach dem damals alle Welt verblüffenden militärischen Sieg Israels im Sechstagekrieg quittierte der angesehene General ein Jahr später seinen Dienst und wurde Akademiker. Und er widmete sich fortan ausgerechnet der arabischen Literatur. Und nicht nur das, nach und nach knüpfte er Kontakte zu arabischen und sogar palästinensischen Wissenschaftlern und Politikern.

Der intelligente Stratege hatte nämlich schon im Jahr des Sieges seinen Offizierskollegen erklärt: "Jetzt haben wir die Möglichkeit, den Palästinensern einen eigenen Staat anzubieten." Weiter schreibt Miko Peled: "Später erklärte er auch klipp und klar, das Festhalten am Westjordanland einschliesslich der Menschen, die dort lebten, stehe in Widerspruch zu Israels langfristiger Strategie, eine gefestigte jüdische Demokratie mit einer stabilen jüdischen Mehrheit aufzubauen. Wenn wir diese Gebiete behielten, würde sich unweigerlich ein Widerstand der Bevölkerung gegen die Besatzung entwickeln, und Israels Armee würde eingesetzt werden, um diesen Widerstand zu unterdrücken, was wiederum verheerende und demoralisierende Konsequenzen haben würde. Er schloss mit der Warnung, dies werde den jüdischen Staat in eine immer brutalere Besatzungsmacht und am Ende in einen binationalen Staat verwandeln." *13

Das ist ganz klar aus der Perspektive eines überzeugten Zionisten heraus formuliert. Aber bezüglich der Entwicklung des Staates Israel zu einem unterdrückenden Besatzungsregime auch erstaunlich hellsichtig vorausgedacht. Und folgerichtig wurde der General in den verbleibenden Lebensjahren zu einem regelrechten Friedensaktivisten, der sich immer eindringlicher für eine Zwei-Staaten-Lösung aussprach.

Interessanterweise war der General damit zu einer Erkenntnis gelangt, die der Historiker Sebastian Haffner 1978 in folgenden Sätzen *14 formulierte: "In der Staatenwelt, wie sie ist, werden Kriege immer für einen Frieden geführt; Verteidigungskriege sowieso, aber auch Angriffskriege, sofern sie überhaupt einen Sinn haben sollen. […] Wenn die Waffenentscheidung gefallen ist, muss Friede geschlossen werden, sonst hat der Krieg keinen Sinn gehabt."

Und hierin liegt meines Erachtens die Schuld der israelischen Regierungen seit 1967: Sie haben die "Waffenentscheidung" des Sechstagekrieges, die doch so eindeutig zugunsten Israels ausgefallen war, nicht konsequent für Friedensverhandlungen mit ihren arabischen Nachbarn und eben auch den Palästinensern genutzt, sie haben nicht - mit Ausnahme Ägyptens - Land gegen Sicherheit eingetauscht.



5. Der verlorene Sohn?

Kann man sagen, dass Miko Peleds Lebensweg in gewissen Bereichen typisch ist für jemanden, der unter einer überlebensgrossen Vaterfigur aufwachsen musste? Es scheinen sich Perioden , in denen der junge Peled seinem Vater nacheifern will, etwa beim (erfolgreichen) Bestreben, unbedingt in eine Sondereinsatzgruppe der Armee aufgenommen zu werden, mit Phasen geistiger und schliesslich auch räumlicher Trennung - sowohl von der Armee als auch Israel insgesamt - abzuwechseln.

Im Jahre 1997 jedenfalls hatte sich Miko Peled ein eigenes Leben fern der Heimat aufgebaut und leitete ein Karate-Studio im sonnigen Kalifornien. Der Vater war vor zwei Jahren verstorben, von seinem friedenspolitischen Engagement schien sich aber nichts dem Sohne vererbt zu haben. Dann allerdings schlägt wie ein Blitz die Nachricht ein, die Mikos Leben von Grund auf verändern wird: Seine Schwester ruft ihn an und teilt mit, dass ihre 13-jährige Tochter, seine Nichte, nach einem Bombenanschlag in Jerusalem vermisst werde. Kurze Zeit später steht fest, dass die Nichte namens Smadar *15 dabei getötet wurde. Überstürzt reist Miko in seine Heimat, um wenigstens bei der Beerdigung dabei zu sein.

In den Tagen danach aber ist die Reaktion Mikos anders, als man erwarten könnte. In der Zwischenzeit sind zwei junge palästinensische Männer als Selbstmordattentäter identifiziert worden. Statt nun wie naheliegend entweder nur die beiden jungen Männer oder gleich alle Palästinenser zu verfluchen, überlegt er sich, wie und warum diese Männer so einen Entschluss fassen und schliesslich auch zur Ausführung bringen konnten. Welche Art von Verzweiflung hatte sich dieser jungen Menschen bemächtigt? "Ihr [Smadars] Tod zwang mich zu einer schonungslosen Überprüfung meiner zionistischen Überzeugungen, der Geschichte meines Landes und der politischen Situation, die die Selbstmordattentäter, die sie getötet hatten, motiviert hatte."

Die folgende "Education sentimentale", wie sie Übersetzer und Verlag im Vorwort nennen, ist spannend und mit grossem Gewinn zu lesen, auch wegen der vielfältig verflochtenen Lebenswege seiner Familie mit anderen, die Geschichte Israels prägenden Gestalten wie Ben Gurion, Shimon Peres oder Zalman Shahar. Der Sohn des Generals lernt im Laufe der Zeit nicht nur Israelis aus der Friedensbewegung kennen und schätzen, sondern nimmt auch Kontakt zu Menschen der "anderen Seite" auf. Dabei muss er oft zuerst tiefsitzende Ängste und Hemmungen überwinden.

Etwas, was man zunächst als aufdringliche Eigenwerbung auffassen könnte, erklärt sich schliesslich genau aus diesem Kontext: Zahlreiche, leider kleinformatige Bilder zeigen immer wieder Miko Peled mit verschiedenen palästinensischen Mitstreitern, und einmal auch im Kreise einer Karate-Klasse, die er im Westjordanland besuchte. Bedenkt man, dass das Buch ja nicht vorwiegend für eine deutsche oder europäische Leserschaft geschrieben ist, sondern für seine israelischen Landsleute, erscheint die vermeintliche Eigenwerbung als Versuch, seinen Mitbürgern zu zeigen, dass auch diese ihre Ängste überwinden, auch sie friedlich mit Palästinensern zusammenkommen könnten.

Im Unterschied zu seinem Vater befürwortet Miko Peled übrigens keine Zwei-Staaten-Lösung. Er argumentiert, die Zerstückelung und Absorption ehemals palästinensischen Siedlungsraums sei schon soweit vorangeschritten, dass irgendwie sinnvolle separate Staaten nicht mehr einzurichten seien. Sondern Israelis und Palästinenser müssten tatsächlich, trotz allem zwischenzeitlich zugefügten Leid, lernen, gleichberechtigt in einem Staat zu leben.



6. Opfer und Täter

Die Deutschen haben, wie es ein Zugewanderter einmal treffend formulierte, "ein Problem mit ihrer Geschichte". Die Verbrechen des NS-Staates, die Verbrechen deutscher Truppen und "Sondereinsatzgruppen" gerade in den östlichen Nachbarstaaten und der ehemaligen Sowjetunion waren so monströs, dass sie auch Jahrzehnte danach nicht vergessen sind. Die von den selbsterklärten Herrenmenschen verübten Taten bilden seither sozusagen das "negative Urmeter", an dem sich alle seither anderswo und von anderen verübten Kollektiv-Verbrechen zu messen haben.

Allerdings haben die Deutschen, gründlich wie sie sind, mittlerweile das Andenken an diese Taten in eine ausgefeilte "Erinnerungskultur" überführt, deren jeweilige Erinnerungstermine und -veranstaltungen penibel genau, aber lustlos "abgearbeitet" werden. Wirkliches Nach-DENKEN erfolgt kaum noch, die jeweiligen Politchargen spulen ihre üblichen Worthülsen ab, und alle sind froh, wenn sie wieder zu ihren gewohnten Tätigkeiten zurückkehren können.

Eine "besondere Verantwortung" behauptet man gegenüber den Juden zu haben, weil jenen das NS-Regime besonders hartnäckig und erfolgreich nach dem Leben trachtete. Freilich haben die Nazis, gemessen an den Opferzahlen, die damaligen Sowjetbürger mindestens ebenso hartnäckig gejagt und erfolgreich umgebracht *16. Für diese gibt es aber keine Gedenktage, hier wird keine besondere Verantwortung postuliert.

Schon die ersten BRD-Regierungen unter Kanzler Adenauer haben es sich einfach gemacht und anstatt individuelle Entschädigungszahlungen an die Überlebenden und Angehörigen der ermordeten Juden zu leisten, pauschale "Wiedergutmachungs"-Zahlungen an den jungen Staat Israel transferiert. Das erklärt etwas die auch heute noch bei uns vorherrschende Gleichsetzung von "Juden" mit "Israel". Diese Gleichsetzung ist aber falsch und war auch damals schon falsch. Und erst mit dieser falschen Gleichsetzung kann man Kritik am Staat Israel als Antisemitismus verleumden. Erst dadurch kann es zu der Absurdität kommen, dass nun auch echte Juden und jüdische Israelis von den selbsternannten bundesdeutschen Philosemiten als "Antisemiten" bezeichnet werden, wenn sie Kritik am Staate Israel oder dessen Regierung üben.

Spiegelbildlich hat sich auch bei vielen Israelis und Juden eine Haltung verfestigt, die man als institutionalisierte Opferrolle bezeichnen könnte. Niemand darf ihnen den Rang als "verfolgteste Volksgruppe der Geschichte" streitig machen. Wer auch nur wagt, irgendein anderes Verbrechen irgendwie mit dem Holocaust zu vergleichen, ist ein schändlicher Relativierer, wenn nicht gleich ein Holocaust-Leugner. Dabei ist man nicht zurückhaltend, wenn es darum geht, selber solche Vergleiche zu ziehen: Irgendeine Person oder Gruppe findet sich für diese Leute immer, der oder die der aktuelle Heydrich, Himmler oder Hitler sein soll - so wie jetzt gerade die Hamas.

Und viele in Deutschland scheinen zu denken, dass die Opfer von damals doch nie zu Tätern von heute werden könnten. Aber natürlich ist das möglich - ein einmal erlittenes Unrecht macht einen nicht automatisch immun dagegen, irgendwann und irgendwo selber Unrecht zu begehen. *17



7. Falsche Freunde

Ein wirklicher Freund, das dürfte unstrittig sein, muss gerade dann der befreundeten Person in den Arm fallen, wenn diese im Begriff steht, eine Dummheit, vielleicht gar eine Straftat zu verüben. "Mach' dich nicht unglücklich!" wird in solchen Situationen oft gesagt, denn die in einem Moment höchster Erregung gestartete Prügelei, der aus gekränkter Ehre verübte Racheakt hat ja das Zeug, der verübenden Person noch lange Jahre danach Kummer zu bereiten, möglicherweise sogar hinter Gittern. Wohl dem, der dann einen Freund hat, der einen vor unbedachten oder gar verhängnisvollen Taten warnt beziehungsweise zurückhält.

Die "Reaktion" der israelischen Regierung auf den Hamas-Angriff vom 7.Oktober ist - nach mittlerweile über 25'000 getöteten Palästinensern, davon über 10'000 Kindern - so grotesk überzogen, dass von "gerechtfertigter Selbstverteidigung" längst keine Rede mehr sein kann. So meint denn auch ein gestandener US-Ex-Militär wie Douglas MacGregor, dass man in dieser Situation "Israel vor sich selber schützen müsse" (siehe dieses Video-Interview, etwa ab min. 24). Und das ist ein Mann, der mit Überzeugung sagt: "I support Israel !"

Man könnte hier noch viele andere wie Scott Ritter oder Mosche Zuckermann oder Ilan Pappe aufführen, die sehr ähnlich argumentieren: Israel vernichtet gerade in einer ungeahnten Gewaltexplosion alles moralische Kapital, welches es einst besessen haben mag.

Und diejenigen, die sich gerade mit Kippa, Hanukkah-Leuchtern und Treueschwüren zu Israel als vorbildliche Philosemiten aufführen, sind in Wahrheit Feinde der Juden dort und weltweit. Und nicht nur Judenfeinde, sondern in ihrer Anbetung militärischer Gewalt recht eigentlich Menschenfeinde.

Es wäre höchste Zeit, dass statt dieser Leute wieder Menschenfreunde die Politik bestimmen - nicht nur in Nahost, sondern auch in der Ukraine und allen anderen Orten, wo ein zerstörerischer militär-industrieller Komplex alle friedlichen Lösungen sabotiert.



10.02.2024



*1 Ein Fall für die Feminismus-Beauftragten: Wieso dürfen nur Männer die Kippa tragen?

*2 Ob sich die zahlreichen ausländischen Politiker, die je vor unserem Parlament sprachen, auch so artig für das "in ihrer Muttersprache reden dürfen" bedankt haben?

*3 Die Sicherstellung des Zugangs zu eisfreien Häfen wird schon seit zaristischen Zeiten als Teil der (ungeschriebenen) russischen Staatsräson genannt, was zumindest insofern plausibel wäre, als es nun tatsächlich im wohlbegründeten staatlichen Interesse läge.

*4 https://taz.de/BGH-zu-Streit-mit-Spiegel-Online/!5682508/

*5 https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-04/volker-beck-bgh-urteil-urheberrecht-manuskript-paedophilie

*6 https://www.tagesspiegel.de/politik/emporung-in-israel-uber-goethe-stiftung-inakzeptabel-und-respektlos-8859721.html

*7 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/greta-thunbergs-erneuter-pro-palaestinensischer-auftritt...

*8 Mindestens 4 Israel-assozierte Verbindungen listet die englische Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Volker_Beck_(politician)

*9 https://www.t-online.de/sport/fussball/bundesliga/fc-bayern-muenchen/id_100271712/israel-gaza-fc-bayern-volker-beck...

*10 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-01/unrwa-mitarbeiter-terrorbeteiligung-deutsch-israelische-gesellschaft-zahlungsstopp

*11 https://www.fr.de/politik/suedafrika-voelkermord-klage-vorwurf-israel-gaza-un-internationaler-gerichtshof-den-haag-zr-92769146.html

*12 Erschienen im Verlag "edition 8", ISBN 978-3-85990-290-9

*13 Zitat aus dem Buch "Der Sohn des Generals", Seite 62-63

*14 Zitat aus "Anmerkungen zu Hitler, Seite 87

*15 Ein Foto von Smadar findet man auf Seite 144 des Buches von Miko Peled.

*16 Eine anschauliche Grafik der Opferzahlen findet sich in der englischen Wikipedia (hier bzw. hier). In der nach Ländern aufgeschlüsselten Tabelle findet man die ca. 4 bis 6 Millionen ermorderter Juden natürlich nicht direkt, sie sind Teil der Opferzahlen vor allem von Polen, der Sowjetunion und Deutschland selbst.

*17 Bei den Erklärungversuchen, wieso kriminelle Gewalttäter so wurden, wie sie sind, wird immer wieder die These vorgebracht, dass familiäre Gewalterfahrungen in der Kindheit zu einer Reproduktion von Gewalt im Erwachsenenalter beitragen. War so gesehen der Holocaust das - negativ - prägende Gewalterlebnis für den jungen Staat Israel?


www.truthorconsequences.de