8 populäre Irrtümer über die EU

Wieviel die EU, also die Europäische Union, wirklich für "PR", also "public relations" ausgibt, ist vermutlich gar nicht so einfach zu ermitteln, da sich eine Vielzahl an Aktivitäten vermutlich hinter scheinbar harmlosen Haushaltstiteln verbirgt. Freilich hatte sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Anlass, sich gelegentlich über Finanzierung und Zielrichtung dieser PR zu wundern (siehe "Die EU kauft Berichterstattung ein").

Jedenfalls sind wir alle Ziel dieser ja nun schon jahrzehntelang betriebenen PR, und so verwundert es nicht, dass einige Irrtümer und Missdeutungen in weiten Teilen des Publikums Einzug gehalten haben. Einige davon will ich versuchen aufzuklären. Der wichtigste Punkt ist vermutlich der hier letztgenannte; wer es also eilig hat, darf auch "vorblättern" zu Punkt 8.



1. "Die EU ist EUROPA", oder "Die EU spricht für Europa."

In den Nachrichten, aber auch im allgemeinen Sprachgebrauch wird vermutlich zu 95% von "Europa" gesprochen, wenn eigentlich die EU gemeint ist. Bei Nachfrage wird dann schon zugebilligt, dass die EU natürlich nicht "ganz" Europa sei, da sie eben doch nur eine Teilmenge der europäischen Staaten repräsentiere. Der sprachliche Lapsus ist aber nicht ganz unwichtig, suggeriert er doch, dass "die EU", die ja meist sehr konkret durch ihr wichtigstes Organ, die EU-Kommission, "spricht", eine Art Repräsentationshoheit auch für den "noch-nicht-EU"-Rest Europas hätte. Aber die nicht zur EU gehörenden Länder Europas (u.a. die Schweiz, Norwegen, Weissrussland, auch Russland, und bald auch Gross-Britannien) sind ja nicht aus Schlafmützigkeit noch nicht "im Club", sondern aus teilweise sehr wohlüberlegten Gründen.

Ebenfalls nicht unwichtig ist, dass die EU des Lissabon-Vertrags sich eigentlich gar keine territoriale oder kulturelle Begrenzung mehr geben mag. Theoretisch könnten auch Israel, Madagaskar oder Südkorea Aufnahmeanträge für die EU stellen, die bei Erfüllung der formalen, hauptsächlich wirtschaftlichen "Konvergenzkriterien", dann auch zur Mitgliedschaft führen könnten.

Gleichzeitig wird zunehmend eine Pflicht zur "Solidarität" in verschiedensten Feldern (Bankenrettung, Migration etc.) eingefordert, die dem Normalbürger gar nicht mehr einleuchten kann. Ein "wir"-Gefühl etwa zwischen den Bewohnern Irlands und Bulgariens lässt sich eben nicht verordnen. Welche Art von Solidarität würde wohl eingefordert, wenn Israel Mitglied wäre und den soundsovielten Krieg mit seinen Nachbarn ausfechten würde?



2. "Es gibt Probleme, die nur die Union der europäischen Staaten lösen kann."

Sicherlich gibt es Probleme, die umfassend nur in multinationalem Rahmen gelöst werden können, namentlich die, die rein technisch keine Staatsgrenzen kennen - also z.B. die Luft- oder Meeres-Verschmutzung. Andererseits sind oft gerade jene Bereiche, die angeblich nur auf EU-Ebene lösbar sind, bei näherer Betrachtung mit den ganz konventionellen Mitteln der (National-)Staaten einfacher lösbar.

Als Beispiel führe ich das hierzulande so medienbeherrschende Thema der "Flüchtlingskrise" auf, bei der unsere Kanzlerin ja schon mindestens seit 2015 eine "europäische Lösung" anmahnt, aber selbst nach zahlreichen Gipfeltreffen keine vorweisen kann.

Im nationalstaatlichen Rahmen wäre das eigentlich kein grosses Problem: Jeder Staat würde seine jeweiligen Quoten für Flüchtlinge und Migranten *1 selbst bestimmen und die bei ihm um Einreise oder Asyl nachsuchenden Menschen nach Massgabe dieser Regeln behandeln. Und ein "EU-Aussen-Grenzstaat" wie Italien würde alle Personen, die andere Zielländer angeben, schlicht im Transitverfahren an diese Zielländer weiterreichen. Jenen wäre es dann wieder überlassen, nach ihren je eigenen Regeln zu entscheiden und ggf. "rückzuführen". Das wäre sogar erheblich ehrlicher gegenüber den um Asyl oder Immigration nachsuchenden Menschen.

Freilich müsste ein offensichtlich "immigrations-attraktives" Land wie Deutschland dann ein Mehrfaches an Ressourcen für die Asyl- bzw. Migrationsverfahren sowie für die dann in das Land aufgenommenen Menschen aufwenden, als es das "Dublin"-Verfahren erforderte. Aber diese Regelung war eben ganz genau darauf zugeschnitten, die Lasten der Migrationsbewegung möglichst einseitig den "Südländern" aufzuhalsen. Also das krasse Gegenteil von "europäischer Solidarität".



3. "Eine durch den >Brexit< verursachte Zollgrenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Land Irland wird zu einem Wieder-Aufflammen des blutigen Nordirland-Konfliktes führen."

Ein sehr spezielles Argument, das auch erst mit der (sehr verspäteten) Diskussion um die Bedingungen des "Brexit" populär wurde. Und auch ein ziemlich geschichtsvergessenes, denn bei diesem Konflikt ging es ja nicht um irgendwelche Zollvorteile beim Einkauf von Butter oder ähnlichem, sondern um das Streben nach nationaler Einheit auf Seiten der IRA und sympathisierender Gruppen, unterlegt um die konfessionelle Differenz zwischen hauptsächlich katholischen Iren/Nordiren und den "royalistischen", teilweise von den ehemaligen britischen Kolonialherrschern abstammenden Protestanten.

Der Erfolg des zurecht vielgerühmten "Good-Friday"-Abkommens beruhte auf einer Vielzahl von Faktoren, nicht zuletzt einer allgemeinen Kriegsmüdigkeit und der generell abnehmenden Bindung an konfessionelle Traditionen.

Die Existenz oder Nicht-Existenz von irgendwelchen Zoll-"Barrieren" spielte hingegen praktisch keine Rolle. Absurd anzunehmen, dass Zollkontrollen an der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland plötzlich wieder zur Reaktivierung der IRA oder gar zu einem "Schiesskrieg" an der Grenze führen würden.

Im übrigen hätte es ja die EU vollkommen selber in der Hand, so eine Zollgrenze zu vermeiden. Eine grosszügige EU könnte ja Grossbritannien durchaus die bisherigen Zollvorteile für einen langen Zeitraum weiter gewähren (möglicherweise sogar zu beiderseitigem Vorteil).

Stattdessen sind die Brexit-Verhandlungen zu einer Strafaktion gegenüber den "Abtrünnigen" geraten, und das berühmte TINA-Argument ("there is no alternative") feiert in Form des Juncker-Worts "es gibt keinen anderen Deal" fröhliche Urständ.



4. "Die EU sorgt für fairen Welthandel und verhandelt deswegen über TTIP, CETA, JEFTA und andere Freihandelsabkommen." *2

Auch hier ist wieder eine vermutlich durch Denkfaulheit entstandene Begriffsverwirrung zu beobachten. Ginge es wirklich um fairen Welthandel, dann dürfte es ja gerade nicht irgendwelche Spezialabkommen zwischen Staaten verschiedener Teil-Regionen geben. Sondern es dürfte nur ein Handelssystem geben mit einheitlichen und eben fairen Regeln. Ob man so etwas nun im Rahmen von GATT oder WTO oder etwas ganz anderem verhandelt, wäre dabei nachrangig.

Aber es geht bei diesen Abkommen eben auch nur in zweiter Linie um die Handelsbeziehungen von Staaten - was übrigens auch daran ablesbar ist, dass z.B. die USA durchaus parallel zum bestehenden NAFTA an TTIP verhandelten.

Der "Witz" ist bei allen diesen Abkommen gerade die Zurückdrängung der Staaten in ihrer Schutzfunktion und stattdessen die Ausweitung ausser-parlamentarischer bzw. ausser-demokratischer Einflussnahme transnationaler Konzerne auf die Regelungen und Gesetze der teilnehmenden Länder.

Die bevorzugten Mittel dazu sind die sogenannte "regulatorische Kooperation" und die Haftbarmachung der Staaten für tatsächliche oder auch nur behauptete monetäre Verluste der Konzerne aufgrund "inkompatibler" Gesetze, typischerweise über die harmlos "Schiedsgerichte"genannte Paralleljustiz.

Diese Ziele werden von den grossen "transnationals" eben durchaus kontinent-übergreifend geteilt, und schon erklärt sich die entschiedene Unterstützung der entsprechenden Abkommen durch die Industrielobby diesseits und jenseits des Atlantiks.

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Vor gar nicht so langer Zeit hätten unsere Nationalstaaten auf solche Bestrebungen übrigens mit aller Härte reagiert und die so agierenden Personen als Hochverräter (eben an der nationalen Souveränität) vor Gericht gestellt. Aber die neo-liberal infiltrierten Regierungen in der EU haben nach 1989 sozusagen "dem Feind in unserem Bett" bereitwillig Platz gemacht.



5. "Nur mit der EU ist europaweites Reisen ohne Grenzen möglich."

Der Satz suggeriert, dass ohne "Schengen" und ohne die Arbeitnehmerfreizügigkeit europaweites Reisen unmöglich wäre. Den sogenannten "Millenials" muss man diesen Irrtum vielleicht verzeihen, haben sie doch nichts anderes gekannt als dieses EU-Europa. Aber die etwas Älteren sollten doch noch wissen, dass man schon in den 1970er Jahren praktisch alle westeuropäischen Länder bereisen konnte, und zumeist auch ohne Visa-Anträge. Sogar der "eiserne Vorhang" zwischen "uns" und Osteuropa war durchaus löchrig; die Klassenfahrt nach Prag oder der Sommerurlaub in Yugoslawien kein verwegenes Abenteuer.

Und den wenigsten Reisenden fällt auf, dass sie den Wegfall der (meist nur sporadischen) Kontrollen an den Grenzen allzuoft nur eingetauscht haben gegen sehr umfassende Kontrollen an den Flughäfen.

Und schliesslich muss auch auf den fundamentalen Unterschied zwischen Reise-Freizügigkeit (die allen gegönnt sei) und der zu den vier EU-"Grundfreiheiten" zählenden Arbeitnehmerfreizügigkeit hingewiesen werden. Letztere kann durchaus zur Zersetzung bestehender Sozialgefüge beitragen, und sie wird eben auch (zusammen mit den von ausserhalb der EU kommenden Migranten) von der Arbeitgeberseite zur bewussten Senkung des Lohnniveaus eingesetzt.



6. "Eine europäische Armee wird uns sicherer machen."

Seit dem beschlossenen Brexit *3 werkeln die EU-Eliten immer entschiedener an einer "europaischen Armee", und die Codewörter sind "PESCO", neue "Einsatzzentren", "gemeinsame" Brigaden und vieles mehr.

Wir als europäische Bürger dürfen aber durchaus danach fragen, ob diese neuen Strukturen und gesteigerten Militärausgaben überhaupt eine verbesserte Verteidigung darstellen, zumal ja von den Proponenten dieses Kurses ein Austritt aus der NATO niemals auch nur angedacht wird.

Wer sich ein bisschen mit Militärgeschichte befasst hat oder auch nur seinen gesunden Menschenverstand bemüht, wird aber schnell zu der Einsicht kommen, dass eine Verdoppelung oder Parallelisierung von militärischen Kommandostrukturen im Verteidigungsfall nur hinderlich sein kann: Wer reagiert mit welchen Truppen an welcher Stelle mit welcher Zielsetzung? Wer hat dann z.B. - ganz konkret - in der "deutsch-französischen Brigade" das Sagen?

Hier wird mancher einwenden, dass Merkel und Macron und ihre Verteidigungsministerinnen sowie deren "Stäbe" doch wohl nicht "blöd" sein werden und wissentlich einer Reduzierung der Verteidigungsfähigkeit das Wort reden würden.

Es geht aber eben nicht wirklich um "verbesserte Verteidigungsfähigkeit"! Es geht zum einen um beständige Ausweitung der Militärbudgets zum Wohle der Rüstungskonzerne, zum anderen um verbesserte Angriffskapazitäten in den "limited wars" der Neuzeit. Und in einer Angriffsoperation hat man durchaus Zeit und Gelegenheit, sich vorab zurechtzulegen, welche Einheit wo und wann mit welcher Zielsetzung und unter welcher Führung angreifen soll.

Freilich werden unsere EU-Eliten das nie als Vorbereitung von Angriffskriegen darstellen, sondern allerhöchstens im militärischen Newspeak als "Fähigkeit zur Machtprojektion" schönreden.



7. "Die EU garantiert wirtschaftliche Stabilität und Wachstum."

Zumindest für einen Teilaspekt der wirtschaftlichen Parameter könnte man tatsächlich sagen, dass die EU "mehr Stabilität" gebracht hat, und dies wäre die Inflationsrate in der "Eurozone". Die europaische Zentralbank (EZB) hat die Inflation wirklich beständig unter 2% halten können, ein für viele der EURO-Länder bislang unbekannt niedriges Niveau. Bemerkenswert aber, dass die EZB selbst mit dieser Entwicklung garnicht zufrieden ist, sondern mindestens seit 2008/2009 deflationäre Tendenzen bekämpfen muss.

Aber der heilige Gral konventioneller Wirtschaftspolitik, das in % des BIP gemessene Wirtschaftwachstum, ist allen "supply-side"-Massnahmen zum Trotz nie mehr in die Nähe der vor-EU-Werte gelangt. Und auch im Vergleich mit anderen Wirtschaftsräumen (USA, Kanada, China) ist die "Performance" der EU schlecht, niedrige einstellige Werte dominieren.

Das hat verschiedenste Wirtschaftminister der Merkel-Koalitionen natürlich nicht davon abgehalten, die relativ zum EU-Umfeld "guten" Werte des deutschen BIP als "Wirtschaftswachstum XXL" schönzulügen.

Im Übrigen ist Wirtschaftswachstum ja kein Selbstzweck. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik müsste doch bestrebt sein, möglichst vielen Bürgern ein auskömmliches Leben zu ermöglichen. Und der wichtigste Parameter in dieser Hinsicht ist natürlich die Arbeitslosenrate. Die ist aber, seit die EU den Taktsock schwingt, auf teilweise dramatische Werte (gerade in den Südländern) gestiegen.

Wenn dieses Massenelend bislang wenig sichtbar und noch weniger politisch wirkend geworden ist, dann wohl auch deswegen, weil die Reste der sozialstaatlichen Regelungen der 1950er bis 1970er Jahre dafür sorgen, dass die Betroffenen (noch) relativ duldsam sind.



8. "Die EU garantiert seit über 70 Jahren den Frieden in Europa."

Der "Klassiker"! Und quasi nobel-amtlich bestätigt, darf sich doch die gesamte EU seit 2012 "Friedensnobelpreisträger" (oder "-in"?) nennen.

Kein Wunder, dass gerade junge Menschen diese These geradezu innig glauben. Wieviel Substanz hat sie aber?

Unzweifelhaft haben die europäischen Staaten seit 1945 untereinander (fast *4) keine Kriege mehr geführt. Und ebenso unzweifelhaft haben sich in dieser Zeit die europäischen Institutionen Montanunion, EWG, EC und EU abgelöst (wobei auffällt, dass die Nobel-ausgezeichnete EU selber erst seit 2009 existiert).

Ist aber diese Korrelation untrügliches Zeichen für Kausalität? Gibt es möglicherweise andere Staaten und Regionen, die seit 1945 keinen Krieg geführt haben? Wieso hat Kanada nicht Dänemark wegen Grönland angegriffen, wieso hat Australien nicht Neuseeland annektiert, wieso Brasilien nicht Argentinien erobert? Schliesslich wäre doch in allen diesen Fällen eine recht plausible "Arrondierung" des eigenen Staatsgebiets möglich gewesen, und die militärischen Kräfteverhältnisse hätten solche Aktionen durchaus erlaubt.

Und da z.B. Spanien und Portugal in den ersten Nachkriegsjahrzehnten ebenfalls nicht in Montanunion und EWG waren, muss man die Frage stellen, wieso das (sogar "faschistische" oder besser falangistische) Spanien nicht Portugal erobert und damit endlich die ganze iberische Halbinsel unter seine Herrschaft gebracht hat?

Wenn doch Nationalstaaten "automatisch" zu Nationalismus und kriegerischer Expansion führen, wodurch sind dann diese scheinbaren Anomalien erklärbar?

Wenn wir nach den wirklichen Ursachen für die Friedensjahrzehnte im Europa nach 1945 suchen, stossen wir zunächst auf einen sozusagen formalen Grund. Überspitzt formuliert war den westeuropäischen Staaten durch die USA eigenständiges Kriegsführen ebenso "verboten" wie den osteuropäischen Staaten durch die Sowjetunion. Die jeweiligen Militärbündnisse NATO und Warschauer Pakt waren auch Hebel für die Umsetzung der Wünsche der jeweiligen Führungsmächte, die ihre "Partner" zwar mehr oder minder entschieden für die grosse, entscheidende Schlacht des "Dritten Weltkrieges" vorbereiteten, aber natürlich irgendwelche militärischen Abenteuer ihrer "Vasallen" verhindern mussten.

Der andere Grund für diese Friedensperiode findet sich im ersten Weltkrieg, aus dem die grossen Industrienationen tatsächlich eine wertvolle Lektion mit nach Hause nahmen: Die Lehre nämlich, dass sich Kriege gegen andere Industriestaaten um einen Zugewinn an Landmasse schlicht nicht mehr lohnten. Nach 1918 ging es neben der (ggf. militärisch forcierten) Ausbeutung eventuell vorhandener Kolonien zunehmend um wirtschaftliche Eroberung, gerade auch über Ländergrenzen hinweg - nicht zufällig treten auch die ersten transnationalen Konzerne seitdem immer stärker als (auch politische) Akteure auf.

Es gab eigentlich nur zwei Industriestaaten, die die Lehre nicht "akzeptierten": Zum einen Japan, zum anderen Deutschland. Allerdings war die japanische Militär-Expansion ab 1931 eigentlich als klassischer Kolonial-Krieg angelegt, die Opfer dieser Aggression (China, Korea, Philippinen, Indonesien) sollten unter dem euphemistischen Namen "Gross-Japanische Wohlstandszone" ebenso klassisch kolonial ausgebeutet werden. Den Widerstand, den die alten (Grossbritannien, Niederlande...) und neuen (USA) Kolonialmächte dieser Expansion entgegensetzen würden, hatte man aber unterschätzt.



Imperiale Träume

Während der japanische Eroberungskrieg möglicherweise als kollektiver Traum der japanischen Eliten beschrieben werden kann, hatte der deutsche Eroberungskrieg seinen Ursprung sehr deutlich in den Träumen eines Mannes: Adolf Hitler wollte "das Riesenreich im Osten" deutscher Besiedelung zuführen. Damit dachte Hitler, wie Sebastian Haffner treffend bemerkt, eigentlich vormodern. Erstaunlich, dass er schliesslich grosse Teile der Eliten des Reichs in seinen Traum einspannen konnte...

Zusammenfassend war der zweite Weltkrieg auch deshalb der letzte grosse Krieg von Industriestaaten untereinander, weil er von den kriegsauslösenden Ländern unter vormodernen Prämissen angefangen wurde.

Doch zurück zu Europa und der scheinbar wundersamen Friedensperiode. Es zeigt sich also, dass diese Periode gerade auch im globalen Vergleich durchaus nicht so einzigartig ist. Es gab und gibt natürlich Kriege nach 1945, aber eben keine mehr zwischen den etablierten Industriestaaten.

Wenn wir übrigens unter diesen Staaten nach derjenigen Nation forschen, die seither die meisten Kriege begonnen hat, so stossen wir auf die USA - welche interessanterweise geradezu der klassisch multiethnische Staat ist (was denjenigen, die glauben, eine möglichst "bunte" Gesellschaft werde automatisch friedfertiger werden, zu denken geben sollte).

Diese EU, die so gerne zu den "Vereinigten Staaten von Europa" werden möchte, ist m.E. auf dem besten Wege, dem schlechten Vorbild der USA zu folgen. Es geht (auch) wieder um imperiale Träume, jetzt halt unter der blau-gelben EU-Fahne.

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Und als Nachgedanke: Wenn die EU tatsächlich der grosse Friedens-Mediator zwischen den "kriegslüsternen Nationalstaaten" Europas gewesen sein soll - wieso gab es dann nie Krisen-Gipfel von EWG, EC oder EU zur Beilegung solcher Konflikte? *5



"Aber die europäische Idee..."

Gerade weil wir seit Jahrzehnten einer pro-Unions-Propaganda ausgesetzt sind, fällt es uns natürlich schwer, die EU als das neo-liberale Instrument der Sozialstaatsauflösung zu erkennen, die sie - spätestens seit "Lissabon" - geworden ist. Und natürlich gibt es unter den über 10'000 Brüsseler EU-Beamten auch eine ganze Reihe rechtschaffener Leute, die in ihrem jeweiligen Bereich wirklich "nur das Beste wollen"; ebenso sind unter den hunderten (oder tausenden?) Programmen der EU sicherlich auch sinnvolle. Das ändert aber an der prinzipiellen und eben auch durch "Lissabon" festgezurrten neo-liberalen Ausrichtung der EU leider nichts.

Begeht, wer die EU "rückabwickeln" oder wenigstens der weiteren Souveränitätsübertragung nach Brüssel Einhalt gebieten will, nicht Verrat an der "europäischen Idee"? Interessanterweise listet die Wikipedia, die ansonsten jedem kleinsten EU-Unterausschuss einen eigenen Text widmet, für die "europäische Idee" keinen Artikel.

Das ist m.E. durchaus konsequent - damit bleibt der Terminus "europäische Idee" so luftig und wolkig, dass er von jedem nach seinen persönlichen Vorlieben gefüllt werden kann - von einer Ulrike Guerot mit regionalistisch-republikanischen Vorstellungen, von Dauer-EU-Parlamentär Elmar Brok mit der Sehnsucht nach einer schlagkräftigen EU-Armee, von Herrn Juncker mit der Vorstellung eines technokratisch-zentral gelenkten Unionsstaates, und so fort *6.

Auf welch absurde Pfade die EU mittlerweile geraten ist, zeigt sich übrigens gerade im Vergleich mit den USA: Niemand kommt dort auf die Idee, z.B. Kalifornien mit Strafzahlungen zu belegen, weil dieser Staat (seit Jahrzehnten!) wesentlich schärfere Abgasgrenzwerte als die anderen Staaten erlässt - dabei wäre das im EU-Sprech doch eindeutig eine "unlautere Wettbewerbsverzerrung", die den "Marktzugang" für nicht-kalifornische Fahrzeuge behindert. Ebenso darf Kalifornien - wie die anderen Bundesstaaten auch - seinen Haushalt nach eigenem Ermessen ausgestalten und braucht diesen weder der Bundesregierung zur Genehmigung vorlegen oder gar die Verhängung eines "Defizitverfahrens" zu fürchten.

Das "europäische Haus" nach EU-Regeln ähnelt eben zunehmend eher einem Straflager als einer freiwilligen Hausgemeinschaft. In diesem Haus gibt es privilegierte "Wohneinheiten" und vor allem privilegierte Schichten, und es gibt - in unterschiedlichen Abstufungen - niederrangige Staaten und Bevölkerungsschichten.

Dieses Haus wieder in eine Gemeinschaft gleichgestellter Staaten und Individuen zu verwandeln, wird mehr erfordern als das Winken mit EU-Fähnchen. Da wird auch so manches EU-Vorzeigeprojekt (der EURO, PESCO...) erst zerschlagen werden müssen...

(November/Dezember 2018)





*1 Für Flüchtlinge bzw. Asylsuchende kann es natürlich nach deutschem Recht keine Obergrenze oder Quote geben. Umso mehr sind wir in der Pflicht, mit sinnvollen Methoden zwischen Flüchtlingen und Migranten zu unterscheiden. Das ist durchaus nicht "unmenschlich", sondern im Gegenteil nur ehrlich gegenüber den Migrierenden. Weder die UN selbst noch die Mehrzahl der UN-Mitglieder kennt ein Recht auf Immigration.

*2 Die folgenden Akronyme seien hier erklärt:

TTIP = Trans-atlantic Trade and Investment Partnership (USA-EU)

CETA = Comprehensive Economic Trade Agreement (Canada-EU)

JEFTA = Japan-EU Free Trade Agreement

GATT = General Agreement on Tariffs and Trade

WTO = World Trade Organization

*3 Die Britischen Regierungen hatten dieses Projekt aus verschiedenen Gründen immer abgelehnt; ohne den Widerstand des Vereinigten Königreichs streben insbesondere die europaischen "Vormächte" Deutschland und Frankreich immer offener nach militärischer Macht für und mit der EU.

*4 Ausnahme Zypern-Konflikt 1973.

*5 Die Ausnahme ist auch hier wieder Zypern, wo es tatsächlich einige halbherzige Versuche seitens der EU gab, diesen Konflikt zu beenden - ohne einer Lösung je nähergekommen zu sein.

*6 Funktional steht der Begriff "europäische Idee" damit auf einer Stufe mit "Lebensraum im Osten" - auch diesen Begriff konnten die Zeitgenossen mit stark differierenden Inhalten füllen. Der eine mochte eine halbwegs friedliche Besiedlung in dünn besiedelten "Ostländern" im Sinn haben, der andere die Unterwerfung von "minderwertigen Rassen" durch die neue deutsche Herrenrasse.




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