Bilderstürmer und "pc"


"Die richtige Geschichte ist 100 Divisionen wert!" *1




1. Der Sturz



Die obigen Fotos zeigen drei grosse Personenstatuen, die entweder schon vom Sockel gestürzt sind oder gerade gestürzt werden:

Links der Rest einer grossen Stalin-Statue, die im Verlaufe des Ungarn-Aufstandes 1956 Objekt des Volkszorns wurde, in der Mitte die Statue Saddam Husseins, die 2003 vor laufenden Pressekameras (und mit nicht nur technischer Unterstützung der US-Armee) gekippt wurde, und rechts eine Statue von Robert E. Lee, die nun im August 2017 auf dem Campus einer Universität in North Carolina von selbsternannten Aktivisten heruntergeholt wurde.

Stalin, 1953 gestorben, war verständlicherweise ein symbolisches Ziel des Zorns der Aufständischen in Ungarn, die sich unter "Entstalinisierung" mehr erhofft hatten, als Sowjet-Chef Chruschtschow ihnen zubilligen wollte.

Saddam Hussein war zwar 2003 noch nicht tot, aber von der realen Macht schon gestürzt durch den Einmarsch der US-Truppen. Die Entfernung aller seiner Statuen schien er sich durch seine grausame Diktatur ebenfalls verdient zu haben.

Bei der Stürzung der Lee-Figur fällt zunächst auf, dass sich hier der "Volkszorn" offenbar erst mit über hundertjähriger Verspätung entlädt - denn der Südstaaten-General starb 1870, also 5 Jahre nach dem Ende des Sezessionskrieges. Aber dazu kommen wir noch...



2. Von Sklaven und Sklavenhaltern

Wieso sind die Statuen von Personen aus der Sezessions-Ära überhaupt jetzt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten? Nun - wenn wir General Lee nehmen, so verteidigte dieser die Abspaltung der "Confederate States" mit Waffengewalt. Und er hielt, wie die meisten grösseren Grundbesitzer der Südstaaten, selber Sklaven. Gerade letzteres können wir heutzutage natürlich nicht mehr gutheissen.

Wenn das Halten von Sklaven im 19. Jahrhundert die Entfernung der öffentlichen Denkmäler der betroffenen Personen im 21. Jahrhundert rechtfertigt, müsste aber konsequenterweise auch die Demontage aller Madison-, Jefferson- und Washington-Statuen verlangt werden, denn diese ehemaligen US-Präsidenten besassen auch alle Sklaven. Selbstredend müssten auch alle nach diesen Herren benannten Strassen und Plätze umbenannt werden, und eigentlich müsste man dann auch tonnenweise Dollarnoten in den Schredder werfen, denn das Konterfei dieser drei findet sich auch dort.

Sollte man überhaupt bei diesen "anrüchigen" Gestalten des 18.-19. Jahrhunderts stehenbleiben? Nach F.D. Roosevelt sind viele grosse Strassen und Plätze der USA benannt, und nach J.F. Kennedy unter anderem der interkontinentale Flughafen New Yorks. Roosevelt und besonders Kennedy waren aber ihren Ehefrauen nicht treu, insbesondere Kennedy gilt ja als der Prototyp des "womanizers". Da Sexismus nicht toleriert werden kann, wäre es wohl an der Zeit, auch hier mit "Lustrationen" (so nennt man das in der Ukraine) zu beginnen...

Freilich sollte dann diese Art der Bilderstürmerei nicht auf die USA beschränkt bleiben. Über manch fragwürdige Benennung von Bundeswehrkasernen ist ja schon diskutiert worden, aber auch im zivilen Umfeld finden sich ja noch reichlich Reste von "unangenehmer" Geschichte.

So gibt es hier in Freiburg immer noch eine Skagerrakstrasse, die nach dem ersten Weltkrieg so benannt wurde - zur Erinnerung an den "grossartigen Sieg", den die kaiserliche Hochseeflotte 1916 über das "perfide Albion" errungen hatte. Viele Freiburger radeln auch täglich über den Asphalt der Hindenburgstrasse, benannt nach dem Feldmarschall und späteren Reichspräsidenten. Jener hatte aber auch Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt - wäre das nicht Anlass genug, seinen Namen aus der öffentlichen Erinnerung zu löschen?

Auch die Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle sollte man wohl bald umbenennen, denn unbestrittenerweise war Schleyer in der Nazi-Zeit Mitglied der SS, als Untersturmführer sogar im Offiziersrang *2.

Ebenfalls (im Wortsinne) viel Fläche für korrigierende Geschichtsdarstellung würde sich den Ägyptern präsentieren. Wieviele Reliefs mit der Darstellung von grausamen Kriegshandlungen und Folter von Kriegsgefangenen sind auf den Tempeln, Grabkammern und Palästen der antiken ägyptischen Reiche vorhanden? Sicher müssten Hunderte von Quadratmetern "gereinigt" werden, damit heutige Touristen vor solchen Anblicken verschont blieben.




3. Der unvergessene Bürgerkrieg

Kommen wir noch einmal zur Statue von Robert E. Lee zurück, denn tatsächlich werden momentan gerade von dieser Person zahlreiche Statuen entfernt - teilweise mehr oder minder spontan von Aktivisten wie in North Carolina, teilweise im Auftrag der Stadtverwaltungen wie in New Orleans oder Baltimore. Dabei gehen die Verwaltungen ganz verschieden vor: manchmal angekündigt und tagsüber, manchmal eher verschämt und des nachts.

Eigentlich wäre ja der erste und einzige Präsident der abtrünnigen Südstaaten, Jefferson Davis, ein viel passenderer Kristallisationspunkt für die Wut heutiger Aktivisten - Robert E. Lee war dagegen politisch zumindest bis Kriegsende eher zurückhaltend und seine Haltung zur Sklaverei ambivalent. Eigentlich hat Lee mehr der geografische Zufall (seine Geburt in Virginia, dem prototypischen Südstaat) in die Südstaaten-Armee geführt; er hätte wohl ebensogut in der Nordstaaten-Armee dienen können.

Trotzdem gibt es wohl weit mehr Lee-Monumente als solche von Davis. Das hängt weniger mit der unterschiedlichen Wertschätzung zusammen, die man im "Süden" beiden Personen entgegenbringt bzw. entgegenbrachte. Sondern eher damit, dass im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als die meisten dieser Denkmäler aufgestellt wurden, eine Davis-Statue kaum aufgestellt werden konnte. Denn die Südstaaten waren durchaus noch unter genauer Beobachtung des Nordens, da wäre die Errichtung eines Monuments für einen "Alternativ-Präsidenten" allzusehr Affront gewesen. Der auch im Norden als fähiger Militär anerkannte Lee war da viel akzeptabler, entsprechend wurden von denen, die die Erinnerung an einen "honourable south" erhalten wollten, eben oft Lee-Statuen in Auftrag gegeben.

Mittlerweile sind an rund 30 US-Orten solche Denkmäler entfernt oder Plätze umbenannt worden, die allermeisten davon in diesem Jahr. Ein recht plötzlicher Revisionismus also - auffälligerweise rund 100 Jahre verspätet.

Natürlich haben Denkmäler keine Ewigkeitsgarantie - wenn niemand sich mehr der Relevanz der behandelten Personen oder Themen bewusst ist, dann ist die Entfernung sicher diskutierbar, insbesondere, wenn man eine neue sinnvolle Nutzung für den beanspruchten Platz gefunden hat und das Denkmal selbst keinen besonderen künstlerischen Wert aufweist.

Wie man aber sieht, sind der Civil War und seine Haupt-Protagonisten (Lee und Grant, Davis und Lincoln) in den USA durchaus nicht vergessen. Andererseits sind Sklaverei oder Sezesssion keine Themen, deren Wiedereinführung ernsthaft diskutiert werden würde (von ein paar Spinnern in weissen Kapuzen einmal abgesehen). Woher also der plötzliche Furor, der sich z.B. in Charlottesville so gewalttätig geäussert hat?

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Wir müssen nochmal zurück zu den Personen, deren "Haltung" nach so langer Zeit wieder für Polarisierung sorgt. Dürfen wir unsere heutigen politisch-moralischen Normen (oder was wir dafür halten) zur Messlatte für historische Personen machen?

Barbara Tuchman hatte dazu eine recht eindeutige Ansicht: Danach darf man Personen der Zeitgeschichte nur für solche Umstände tadeln, die sie selbst als falsch oder unmoralisch hätten erkennen können, oder die bereits von einem Grossteil der Zeitgenossen als falsch oder unmoralisch eingeordnet wurden. Alles andere wäre ahistorisch.



4. Im Kontext

Mit Tuchmans Mass gemessen können die Ägypter ihre antiken Tempel und Stelen getrost unverändert lassen: Den Pharaonen als auch ihren Untertanen, aufgewachsen in einer Gesellschaft, die die Gottgleichheit ihrer Führer als fast naturgegeben empfand, dürfte kaum je in den Sinn gekommen sein, dass Sklavenhaltung oder Töten von Kriegsgefangenen unmoralisch sein könnten. Uns, die wir mit dem Abstand von Tausenden von Jahren auf diese Reliefs blicken, ist ohnehin der künstlerische Wert viel wesentlicher geworden als die damalige Intention (z.B. Ehrfurcht vor dem Herrscher einzuflössen).

Hindenburg ist schwieriger einzuordnen: Hätte er nicht sehen können, dass ein Kanzler Hitler bald zur absoluten Macht greifen und diese furchtbar missbrauchen würde? Genügend Zeitgenossen hatten genau das ja erkannt (nur als Beispiel seien Sebastian Haffner und Thomas Mann genannt). Andererseits war wohl eine grosse Mehrheit der Deutschen der Ansicht, dass sich eine Hitler-Regierung genauso schnell verschleissen würde wie die Vorgänger-Regierungen; ein eher unpolitischer Geist wie Hindenburg mag dasselbe Gefühl gehabt haben.

Lee und Davis haben, indem sie die Sklaverei verteidigten, natürlich für eine "ignoble cause", für eine unehrenhafte Sache, gekämpft. Für sie selber war aber die Sklaverei eher ein Nebenthema - für sie ging es eher um das Recht der Bundesstaaten, selber über Sklaverei "Ja oder Nein" entscheiden zu können. Im Spiegel der Zeitgenossen in den (späteren) Sezessionsstaaten war das eine akzeptable Haltung, im Reich der Yankees aber nicht mehr.

Auch für den Gegenpart, Präsident Lincoln, war der casus belli nicht die Sklavenfrage an sich, sondern die "Einheit der Union".

Ein sinnvoller Umgang mit diesen zeitgeschichtlichen Personen - ob nun Lee, Grant, Davis, Lincoln oder aber Hindenburg - müsste eher nicht auf Entfernung der Denkmäler drängen, sondern im Gegenteil auf Ergänzung um die zwischenzeitlich gewonnenen geschichtlichen Erkenntnisse. Ob nun in der Form von erläuternden Texttafeln oder durch Gegenüberstellung mit Personen "der anderen Seite" oder in einer ganz anderen Form - da ist noch viel Raum für intelligente Ideen.



5. Die Sprachpolizei

Diese wieder in Mode gekommene "Bilderstürmerei" teilt mindestens eine Eigenschaft mit der ebenfalls modernen "political correctness". In beidern Fällen der eher naive Glaube, dass man die Narben der Vergangenheit oder die Unbilden der Gegenwart durch Entfernen, Umbenennen oder Auslöschen aus der Erinnerung "heilen" könne. Die USA, in denen "pc" wohl erfunden wurde, zeigen aber deutlich, dass z.B. rassistische Unterdrückung nicht dadurch verschwindet, dass man z.B. das "N-word" aus dem Diskurs nahezu 100%ig entfernt. Die Benutzung des Wortes "negroe", von Marin Luther King noch ganz selbstverständlich gehandhabt, kann eine "weisse" Person heutzutage in allerärgste Bedrängnis bringen.

Natürlich, die andere Form des "N-words" mit 2 Buchstaben "g", war und ist heruntersetzend - wird aber am Ende den Kampf der Sprachpolizei eher überstehen als "negroe". Denn in jedem zweiten Rap-Song taucht genau dieses beleidigende "N...", oft dutzendmal wiederholt, auf.

Die Interpreten dieser Rap-Songs geniessen in diesem Fall aber sozusagen sprachpolizeiliche Immunität, weil sie selbst schwarz sind.

Möglicherweise ist aber der Hauptzweck der "pc" ohnehin ein anderer: Indem das System einen sich beständig verändernden Katalog von Unwörtern und stattdessen zu verwendenden Ersatzphrasen aufstellt, kann es alle diejenigen, die die gültige Sprachregelung nicht oder nicht vollständig beherrschen, von der Teilnahme am (wirklichen) politischen Diskurs ausschliessen.

Das Unbehagen an dieser stillschweigenden Exklusion könnte bei vielen der "common people" auch ein Grund für die Wahlentscheidung zugunsten Donald Trumps gewesen sein.




6. Die Karotte

Angeblich soll man einen störrischen Esel ja dadurch zum weitermarschieren bringen können, indem man vor seiner Nase mit einer leckeren Karotte wedelt.

Im Falle der gewalttätigen Auseinandersetzungen von Charlottesville am 12. August 2017 hat es wohl zwei besonders verlockende Karotten gegeben:

Die Ankündigung der Stadt, nunmehr ein weiteres Lee-Denkmal entfernen zu wollen, war für zahlreiche hartgesottene Konföderierten-Nostalgiger, weisse "Suprematisten" und Ku-Klux-Klan-Sympathisanten der Aufreger, der zum Marsch unter dem Motto "unite right" mobilisierte.

Und genau diese "unite right"-Veranstaltung, komplett mit Fackelzug bei Nacht usf., war dann die "Karotte" für die andere Seite, die nun endlich den harten Kern der verhassten Trump-Befürworter stellen wollte.

Mit ihren metaphorischen "Karotten" vor der Nase sind dann diese zwei Gruppen losmarschiert, um sich in der Mitte von Charlottesville zu treffen.

Und genau da beginnt das schwer fassbare: Anstatt die beiden Gruppen frühzeitig und konsequent voneinander zu trennen, schaut die Polizei tatenlos zu, wie die Demonstrationszüge aufeinandertreffen und sich schliesslich zu einem prügelnden und steinewerfenden Chaos vermengen.

Lag es an Personal- oder Materialmangel? Schwer vorstellbar, da doch die Polizeien fast überall in den USA in den letzten Jahren schwer aufgerüstet haben und mit nicht wenig paramilitärischem Gerät ausstaffiert sind. Aber selbst wenn solch ein Mangel gegeben gewesen wäre - man hätte doch Amtshilfe bei Nachbarstädten oder der Nationalgarde anfordern können.

Nicht nur der selbsternannte amerikanische "media analyst" mit dem Künstlernamen "Lionel" *3 hält dieses scheinbare Polizeiversagen für volle Absicht.



7. Demos, Gegendemos und mediales Recycling

Zu den vielen nach "Charlottesville" kursierenden Gerüchten gehört u.a. die Meinung, dass einige/viele der linken Gegendemonstranten "bezahlte Schauspieler" gewesen seien. Andere meinen im Gegenteil, dass die Mehrzahl der angeblichen Klansbrüder oder Suprematisten "hired people" waren, und wieder andere sehen ein "staging" mit bezahlten Akteuren auf beiden Seiten. Das wird sich von dieser Seite des Atlantiks kaum aufklären lassen.

Auch wenn wir (sozusagen vorläufig) unterstellen, dass alle Teilnehmer "echt" waren, bleibt etwas Surreales an der ganzen Aktion. Wenn man der Ansicht ist, dass die Klan-Sympathisanten, Suprematisten und "alternativ-rechts"-Bewegten ohnehin einen "an der Waffel" haben, mag der dürftige Anlass (die Statuen-Demontage) für diese Leute Grund genug gewesen sein, sich dort zu versammeln.

Aber wieso sich "Linke" oder "Liberale" auf den teilweise langen Weg in dieses Provinzstädtchen (rund 50'000 Einwohner) aufmachten, um nun ausgerechnet dort ihre Protestplakate ein paar hundert vermutlich garantiert Unbelehrbaren entgegenzuhalten, ist kaum zu verstehen.

Gibt es nicht jede Menge anderer Themen, gegen die zu protestieren erheblich wichtiger wäre? Gerade auch, wenn man gegen Trump und/oder seine Regierung ist. Da gibt es z.B. ein Gefangenenlager in Guantanamo, dessen Errichtung und Betrieb die USA sehr viel internationales Ansehen gekostet hat. Oder das "targeted killings"-Programm mittels Drohnen, das auch dieser Präsident scheinbar unverändert betreibt. Oder aber, näher an der Hass-Figur Trump, seine plötzliche Entscheidung vom April, cruise missiles im Wert von 60 Millionen Dollar auf ein halb verlassenes Flugfeld in der syrischen Wüste abfeuern zu lassen. Oder aber Demonstrationen gegen die von Trump geplante Grenzmauer zu Mexiko (am besten an jenen Stellen, wo es schon solche Grenzbefestigungen gibt - rund 1000 von 3000 Grenz-Kilometern wurden ja schon unter seinen Amtsvorgängern Bush und Obama solcherart "gesichert"...). Und wer die potentiellen oder wirklichen Trump-Wähler zurückgewinnen will, hätte doch mit Demonstrationen für "Obamacare" und gegen die geplante Abschaffung dieses Systems weit mehr Chancen, jene Leute wieder zurück ins "progressive Lager" zu bringen.

Wenn es aber garnicht um wirkliche Missstände in er US-Aussen- oder Innenpolitik geht, sondern vor allem darum, den aktuellen Präsidenten als "divisive", als die Einheit aller US-Amerikaner spaltend, darzustellen - dann sind Ereignisse wie "Charlottesville" bestens geeignet. Zu beobachten ist, wie die grossen Medienhäuser der USA (TIME, CNN, CBS, MSNBC, Washington Post, New York Times etc.) gerade bei solchen Themen zur Hochform auflaufen.

Das war schon bei den Grossdemonstrationen anfangs des Jahres (etwa dem "Women's march") so. Nur sind Demonstrationen solchen Umfangs nicht einfach auf die Beine zu stellen, und auch die für solche Aktionen empfängliche Teilmenge der Bürger wird recht schnell der Demos müde.

Wenn man weiter Bilder von "divisiveness" generieren will, muss man wohl andere Themen und Mittel finden.

Möglicherweise hatte da jemand die geniale Idee, mit der Entfernung der eigentlich schon längst vergessenen Statuen und Monumente von Südstaaten-Heroen den "right fringe" zu mobilisieren (und dazu noch ein paar rechtschaffen konservative Bürger, die sich nur der plötzlichen Änderung ihres gewohnten Umfelds erwehren wollen). Und gegen diesen "right mob" kann man dann trefflich den harten Kern der "linken Aktivisten" (hierzulande würde man sagen: den "schwarzen Block") aktivieren.

Am Ende jedenfalls waren die Bilder von wild aufeinander einprügelnden Amerikanern auf allen Kanälen *4. Und das wichtigste, was man dann von Präsident Trump wissen wollte, war, wem er die Schuld an diesen Vorkommnissen geben würde, und ob er sich "ausreichend" von den rechten Elementen distanzieren würde. Interessanterweise war auch der deutschen Tagesschau dies der wichtigste Umstand - und nicht z.B. die ganz praktische Frage, ob die zahlreichen deutschen Touristen in den USA nunmehr öffentliche Plätze oder Innenstadt-Strassen besser meiden sollten.

Ist so gesehen das alte Bronzeblech samt den verwitterten Steinen der alten Monumente "recyclelt" worden - sozusagen vom "civil war of the past" zum "new civil media war"?



8. "Civil Media War"

Wir erleben wir ja seit der Vereidigung des neuen US-Präsidenten einen Medienkrieg, den es so wohl noch nie in der Geschichte der USA gegeben hat.

Trump, der ja eigentlich ein genuines Produkt der amerikanischen Millionärskaste ist, hatte seine Kandidatur wohl zunächst nur als überdimensionalen Egotrip geplant. Durch eine Reihung von, je nach Standpunkt, glücklichen oder unglücklichen Zufällen wurde er erst an die Spitze der republikanischen Kandidaten und schliesslich gar ins Amt getragen. Dieser ungeplante Kandidat hatte sich trotzdem zumindest in Teilbereichen etwas gesunden Menschenverstand erhalten.

Und dieser gesunde Menschenverstand liess ihn Sachen herausplappern, die in den USA des 21. Jahrhunderts eigentlich nicht gesagt werden dürfen:

- dass eine Konfrontation mit Russland für beide Seiten unnütz sei und eine Kooperation auf vielen Feldern möglich,

- dass man die wild dschihadistische IS, wenn man nur an einem Strang zöge, doch binnen kürzester Zeit besiegen könne,

- dass die USA nicht überall in der Welt den (militärischen) Polizisten spielen müsse,

- dass nicht aller Freihandel automatisch den einfachen US-Bürgern nütze.

All dies geht aber gar nicht, wenn es nach dem Willen von Lockheed und Boeing, von General Motors und General Electric, von Raytheon und Bayer-Monsanto, von NSA und DNI, von Morgan Stanley und Goldman Sachs geht.

In den US-Mainstream-Medien (und auch überraschenderweise in den deutschen Haupt-Medien) geht es seit der Amtsübernahme kaum jemals um diese Fragen, die ja zumindest mittelbar eben auch grundsätzlich sind, sondern statt dessen um die Berater Trumps, um Treffen mit Russen, um das Verhältnis zu Töchtern und Schwiegersöhnen, um seine psychische Gesundheit, um seine sprachlichen und gestischen Manierismen etc.pp.

In Bezug auf die Trump-Berater hat die Establishment-Fraktion schon erhebliche "Siege" errungen; vom ursprünglich von Trump bestallten Team ist ein Grossteil schon ausgeschieden (zuletzt Mr. Bannon) - nach zum Teil sehr intensiven Medienkampagnen, gezielt gestreuten Leaks und vermutlich auch anderen "dirty tricks".

Wenn Trump diese Vakanzen dann am liebsten mit Militärs auffüllt, kann das ein Zeichen seiner Naivität oder aber eines späten Bemühens um Tolerierung durch den "deep state" *5 sein. Das Resultat ist jedenfalls ein von Militärs auf allen Stufen komplett durchdrungenes Weisses Haus. Nicht überraschend, dass die konkrete Politik - entgegen den Wahlkampfaussagen - immer öfter auf Milititärschläge oder Androhung derselben setzt.


Am Ende dieses neuen (medialen) Civil War könnte auch ein linientreuer Ersatz (vielleicht Mr. Pence?) stehen, der Trump nach irgendeinem eklatanten Fehlgriff oder einem missratenen militärischen Abenteuer ersetzt. So etwas wie die missglückte Geiselbefreiung aus dem Iran 1980, die alle Wiederwahl-Hoffnungen des damaligen US-Präsidenten J. Carter beendete.

Vielleicht weiss das gut informierte Mitglied der Atlantik-Brücke namens Josef Joffe da aber schon mehr: Schliesslich dachte er in einer Fernsehsendung schon laut über die Möglichkeit eines Attentats auf Trump nach.



9. Transatlantische Treue

Wie es der Zufall will, befasst sich auch in der aktuellen Ausgabe der ZEIT (Nr.36/2017) ein Herr Christian Stass mit dem Thema "Denkmalsturz" in den USA. Und eigentlich findet er es auch ganz in Ordnung, dass die Aktivisten nun ein "wenig ausmisten". Grund, in diesen Aktionen "Vorbote[n] von Säuberung und Zensur", gar den "Auftakt zu einem neuen Bürgerkrieg" zu sehen, sieht er nicht. Wieso, meint er, sollten die Betrachter der Denkmale "zu Krieghelden aus der Jim-Crow-Ära aufblicken müssen?" *6.

Wenig später muss er aber den Aktivisten gönnerhaft anraten, sich nicht "im Übereifer zu verzetteln". Denn die "konkrete Intervention in [der] brennende[n] Debatte über den Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft", als die er den Sturz von Lee und Konsorten begreift, heisst er vollumfänglich gut. Aber wenn ein Kolumbus-Denkmal in New York zur Disposition stehen soll, ist Herr Stass plötzlich dagegen, denn den "gedenkpolitischen Kampf gegen das Ku-Klux-Klan-Amerika" gewinne man nicht, wenn man "den Fokus ins Uferlose weitet".

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Wieso soll nach Herrn Stass der "gedenkpolitische Kampf" (!) sehr wohl 150 Jahre zurück reichen, aber nicht 500 Jahre? Und wieso soll der Kampf gegen den Rassismus in der US-Gesellschaft ausgerechnet an Blechfiguren aus dem vorigen und vor-vorigen Jahrhundert ausgefochten werden?

Wäre es im Sinne einer "Debatte über den Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft" nicht sinnvoller, man zöge protestierend vor die Polizei-Hauptquartiere der grossen Städte und machte darauf aufmerksam, dass schwarze US-Bürger zwar nur rund 12% der US-Bevölkerung ausmachen, aber in der Gruppe der von US-Polizisten getöteten Bürger (ca. 1000 pro Jahr!) mit über 260 Personen (oder 26%) deutlich überrepräsentiert sind *7.

Alternativ könnte man vor US-Gefängnisse ziehen und anklagen, dass auch hier schwarze US-Bürger mit rund 39% der Inhaftierten ebenso klar überrepräsentiert sind.

Vielleicht sollte man auch erst innehalten und überlegen, warum seit Ronald Reagans 1984er "Sentencing Reform Act" die Zahl der US-Gefängnisinsassen so eklatant angestiegen ist? Oder warum privat betriebene Gefängnisse in den USA überhaupt ein multi-milliarden-Dollar schweres Geschäft werden konnten? Denkt man an das Faktum der Bestechung von US-Richtern durch Gesellschaften wie CSC, YSI oder GEO mit dem Ziel der Einweisung von mehr "Kunden" *8, dann könnte man das protzige Hauptquartier von GEO in Boca Raton für ein sehr viel sinnvolleres Protestziel halten als den Stadtpark von Charlottesville.

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Aber natürlich geht es dem treuen Transatlantiker Stass gar nicht darum, den "Gelynchten, Verslavten, Entrechteten" historische Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Sondern er muss diesen ahistorischen Unsinn rechtfertigen, weil die ZEIT in transatlantischer Treue eben auch diesen Teil der Anti-Trump-Kampagne untertützen soll.



10. Die "richtige" Geschichte

In George Orwells Roman "1984" sorgten die Angestellten im "Ministerium der Wahrheit" dafür, dass die Geschichte immer den aktuellen Anforderungen der Staatspartei angepasst wurde, etwa indem missliebig gewordene Personen aus allen alten Zeitungsartikeln entfernt und aus allen offiziellen Fotos wegretuschiert werden. Als Orwell das schrieb, hatte er die Mechanismen in der Sowjetunion der Stalinzeit und in Nazi-Deutschland vor Augen.

Hitlers Chefpropagandist Goebbels wiederum hatte folgendes erkannt: "Wenn man eine grosse Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben." Lügen und Verfälschungen hatten den Aufstieg der Nazis begleitet und waren ein fester Bestandteil ihrer Herrschaftsweise - nur folgerichtig, dass sie der "richtigen" Geschichte auch durchaus einen militärischen Wert beimassen (siehe die "100 Divisionen").

Auch in den USA wird derzeit die Geschichte "korrigiert" - jene sklavenhaltenden Südstaaten-Figuren sollen offenbar aus der Erinnerung gelöscht werden. Die aktuelle Kampagne mag eine ganz andere eigentliche Zielsetzung haben (m.E. das Generieren von "divisiveness"-Bildern), aber am Ende wird eine abermals geschichtlich verarmte urbane Umwelt stehen.

Im 21. Jahrhundert ist optisch-chemisches Retuschieren von Fotografien durch "photoshoppen" ersetzt, Lexikoneinträge der Wikipedia lassen sich - wenn es sein muss - im Minutentakt umschreiben, und die "Wahrheitsfindung" wird nicht mehr von Beamten betrieben, sondern an private Dienstleister "outgesourced" (man denke an die angeblichen "Faktenchecker").

Um die "Korrektur" des Vergangenen muss man sich ohnehin immer weniger kümmern. Es reicht, die Wahrnehmung der Menschen durch gezieltes Weglassen zu steuern (ein Beispiel wäre die Berichterstattung oder eher nicht-Berichterstattung zum Jemen-Krieg). Das ist eigentlich auch konsequent, da in dieser Welt des Überangebots von "Nachrichten" oder "news" kaum einer der durchschnittlichen Medienbenutzer sich noch die Mühe macht, in Zeitungs- oder Video-Archiven die "neuen" Wahrheiten mit den alten zu vergleichen.

Und auch ich trage in diesem "geschwätzigen Zeitalter", wie es einmal von einem Essayisten genannt wurde, zur Vermehrung der Wortflut bei, indem ich Wort an Wort *9 setze …





(Sept. 2017)




*1 Im Roman "Vaterland" von Robert Harris wird dieses Zitat A. Hitler zugeschrieben; ob es sich um ein echtes Zitat handelt, konnte ich bislang nicht bestätigt finden. "Stimmig" für Hitler und sein Geschichtsverständnis wäre es auf jeden Fall.

*2 H.-M. Schleyers tragisches Ende durch Mörder der Roten-Armee-Fraktion führte zu zahlreichen posthumen Ehrungen wie der Benennung der Stuttgarter Halle 1983. Ist Schleyer durch seine Mitgliedschaft in der SS automatisch als Namensgeber für eine der grössten deutschen Hallen unakzeptabel geworden? Wenn es nach der Logik der US-Statuen-Demontierer gehen soll, müsste man dies bejahen.

*3 Das Format der "talk radio show" ist in Deutschland ja recht unbekannt, in den USA aber manchmal der Grundstein für eine Medienkarriere: http://lionelmedia.com/about-lionel/

*4 Siehe zum Beispiel hier: https://www.nytimes.com/video/... Die sehr überschaubaren Menschenmengen lassen erahnen, dass dieses Ereignis ohne Prügeleien und ohne Todesfall es wohl kaum zu nationaler, geschweige denn internationaler Beachtung gebracht hätte.

*5 aus Wikipedia: "[Deep state] is a hybrid association of elements of government and parts of top-level finance and industry that is effectively able to govern the United States without reference to the consent of the governed as expressed through the formal political process. "

*6 Als "Jim-Crow-Ära" wird in den USA die um die Jahrhundertwende 1900 einsetzende Bewegung in den Südstaaten bezeichnet, die wieder die alte Rassenhierarchie anstrebte. Ein Ergebnis waren die verschiedenen Gesetze und Verordnungen zur "segregation", die oft erst im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre aufgehoben wurden.

*7 Quelle: The Guardian, US-Census

*8 Siehe z.B. hier: https://en.wikipedia.org/wiki/Kids_for_cash_scandal

*9 In diesem Text ca. 4000 Wörter.

Anmerkung:

Bevor ich hier der "Mohrenwäsche" (uups, schon wieder die pc verletzt) verdächtigt werde, muss ich natürlich einiges klarstellen:

- Es gibt natürlich in den USA tatsächlich noch Ku-Klux-Klan-Mitglieder, waffenselige Rassisten und sogar selbsternannte Nazis. Nur eine politische Kraft waren sie in den letzten 30-40 Jahren nie und sind es auch unter Trump nicht geworden. Im Gegensatz zur Situation in den USA in den 1950er Jahren sind diese Leute heute kaum noch in Stadträten, County- oder Staatsverwaltungen vorzufinden. Wer diese Gruppen jetzt zur aktuell zu bekämpfenden Gefahr hochstilisiert, errichtet einen Popanz. Wobei es in diesem Umfeld durchaus auch wirklich gefährliche Personen geben mag (man denke an die allgegenwärtigen Schusswaffen), nur war und ist das ein rein polizeiliches Problem.

- Donald Trump steht diesen Leuten sicher gedanklich näher als z.B. Carter oder Clinton. Er hat sicherlich auch keine Anstalten gemacht, Wählerstimmen aus diesen Lagern irgendwie "abzuweisen" (sowenig wie viele konservative Kandidaten vor ihm).

- Weiter gibt es mittlerweile auch zahlreiche Anlässe, an Präsident Trumps politisch-"handwerklichen" Fähigkeiten zu zweifeln. Das moralisch "hohe Ross", auf dem hierzulande viele Journalisten thronen, und von dem aus sie scheinbar "letztgültige" moralische Urteile sprechen, ist aber immer schwerer zu ertragen.