ARD-Presseclub - oder Syrien und die Scheinpluralität



"Wo alle das Gleiche denken,

wird nicht viel gedacht."

(zum ersten Nachtrag)

(zum zweiten Nachtrag)


A

Am Sonntag vor dem "Nationalfeiertag" (02.10.2016) bot der Presseclub in der ARD ein Beispiel für jene journalistische Qualität, derer sich die ARD so gerne selber rühmt: Es ging - wieder einmal - um Syrien, und es waren vier journalistisch tätige Personen eingeladen:

Sylke Tempel von der Zeitschrift "Internationale Politik",

Kristin Helberg als "Nahost-Expertin",

Kurt Pelda als "Schweizer Kriegsreporter und Publizist",

Jürgen Todenhöfer "Publizist"

sowie Ellen Ehni von der ARD als Diskussionsleiterin.

Offensichtlich war Herr Todenhöfer als Ausweis der Pluralität eingeladen und sollte wohl die syrische Regierungsseite und/oder die russische Sicht der Dinge repräsentieren. Da er erst kürzlich aus Syrien mit einem spektakulären Interview zurückgekehrt war, durfte er sogar beginnen. Aber seine Ausführungen wurden schon bald durch die anderen "Diskussionsteilnehmer" unterbrochen.

So störte sich insbesondere Frau Tempel daran, dass Herr Todenhöfer seinem Interviewpartner so einfach geglaubt hatte, vom syrischen Arm der Al-Qaida zu sein. Wie konnte er das tun? Ihrer Ansicht nach war das alles unglaubwürdig (vermutlich hätte dieser Mann zuerst einen offiziellen Al-Qaida-Mitgliedausweis vorweisen sollen, am besten mit der Unterschrift bin Ladens persönlich?!?).

Die Essenz dieses Interviews war gewesen, dass der Interviewte behauptet hatte, seine Truppe würde indirekt und direkt von den USA Waffen erhalten.

Das konnte so von den anderen Journalisten nicht stehen gelassen werden. Schnell wurde die Rede auf die neuesten Meldungen aus Syrien und Aleppo gebracht, die die Bunderegierung ja nun hochoffiziell als Barbarei bezeichnet hat.

Beim zerstörten Hilfskonvoi wusste Herr Pelda ganz genau, dass die Russen diesen zerstört hatten. Frau Helberg wusste ebenfalls ganz genau, dass 94% der zivilen Toten von der syrischen Regierung oder von Russland zu verantworten seien. Auch die üblichen und neuen Catchwords durften nicht fehlen: die berüchtigten Fassbomben oder barrel bombs und auch die bunkerbrechenden Bomben. Für all diese vermeintlichen Kriegsverbrechen sind natürlich - wieder wahlweise oder zusammen - die syrische Regierung und/oder Russland verantwortlich. Und Herr Pelda konnte mit Sicherheit feststellen, dass die weiträumigen Zerstörungen in Aleppo nur aus der Luft - also von der syrischen Regierung oder Russland - verursacht sein konnten, aber niemals von der Artillerie der Rebellen. Herrn Todenhöfers zaghafte Versuche, da gelegentlich entgegenstehende Fakten einzuwerfen, wurden von den anderen - oft fast im Chor - abgeschmettert. Schliesslich (wieder Frau Helberg): "Wir wissen genau, was in Syrien passiert!"

So ergab sich die absurde Situation, dass die 4 "Mainstream"-Journalisten dem einzigen Anwesenden, der in letzter Zeit tatsächlich in Syrien gewesen war (und der wahrscheinlich als Einziger der Runde überhaupt einmal mit leibhaftigen IS- und Al-Qaida-Kämpfern gesprochen hatte) erklärten, wie es nun "wirklich" in Syrien zuginge.



Als Herr Todenhöfer meinte, dass "wir überhaupt keine Rebellen in anderen Ländern zu unterstützen" hätten, fuhr ihm Frau Helberg sofort dazwischen: "Wir haben eine responsibility to protect!" (ob die englische Wortwahl zufällig war?). Auch war ihr klar: "Man muss diesen Saat vom Einfluss Assads befreien, bevor man diesen Staat retten kann."

Es wurden von den vier "Atlantikern" auch ein paar eigenkritische Zugeständnisse gemacht: "Die islamistischen Gruppen finden wir alle nicht so toll …" (Frau Tempel) oder "Vielleicht haben alle Seiten Kriegsverbrechen begangen" (Frau Ehni).

Herrn Todenhöfers Hinweise auf ein Dokument der Defence Intelligence Agency der USA, das verschiedene Optionen für das Erreichen des Zieles "Assad-Entmachtung durchspielt, wurden natürlich gleich abgeblockt: "Es gibt keinen Plan für regime change seitens der USA" (Frau Helberg).

Was liest man auf der Webseite des ARD-Presseclub:

"Gleichzeitig bemüht sich die Redaktion, mit der sorgfältigen Auswahl der Gäste das Spektrum der relevanten Meinungen abzudecken."

Wenn also hier 3 (oder 4, wenn man die Diskussionsleiterin mitzählt) eigentlich die gleiche Meinung eben fast schon im Chor vertreten und nur Herr Todenhöfer als mässig geduldeter Abweichler anwesend war, dann muss nach Ansicht der ARD wohl einfach keine andere Meinung "relevant" sein.

Nun schrieb Barbara Tuchman einmal sinngemäss: "Niemand ist sich seiner Ansichten so sicher wie derjenige, der keine Ahnung vom Thema hat". Untersuchen wir also ein paar der Themen und Vorfälle mit etwas Verstand und allgemein zugänglichen Fakten.



B



Nehmen wir zuerst den zerstörten Hilfskonvoi: Die im TV dazu gezeigten Bilder zeigten ausgebrannte, teilweise zerborstene Lkw.

Ohne Zeifel wäre so etwas mit Kleinraketen etwa aus einem Helikopter leicht anzurichten. Andererseits vermutlich ebensogut mit einfachen Handgranaten, welche man z.B. auf die Treibstofftanks legt (der Konvoi war zum fraglichen Zeitpunkt geparkt). Hier ohne eine gründliche Untersuchung den forschen Schluss zu ziehen, dass das "nur die Russen" gewesen sein könnten, ist ohne Zweifel mehr als gewagt.

Wieso überhaupt sollten die Russen so etwas Törichtes wie einen Angriff auf einen allseits angekündigten Hilfskonvoi unternehmen? Gewiss ist "Aushungern" schon seit der Antike als Mittel des Krieges bekannt. Aber in einer Situation, wo man die gegnerischen Stellungen auch direkt treffen kann, als Kampftaktik eher absurd.

Dann die schon so häufig, auch von der Kanzlerin, mit höchstem Abscheu erwähnten Fassbomben. Kaum jemals wird erläutert, was Fassbomben nun eigentlich sind. Dabei ist das recht einfach: Es sind improvisiert hergestellte Bomben, selten wirklich mit einem Fass, sonder eher mit einem Rohr realisiert. Dieses wird mit den gleichen "Ingredienzien" wie jede "normale" Bombe auch gefüllt, also mit Sprengstoff und mehr oder weniger Metallschrott, der bei der Explosion zu einem tödlichen Projektilhagel führt. Für den Unglücklichen, der sich am Aufschlagpunkt einer solchen Bombe befindet, ist vermutlich kein Unterschied zwischen einer Fassbombe und einer normalen Fliegerbombe mehr "erfahrbar". Der Grund, warum einige Organisationen diese Art von Bomben geächtet sehen wollen, liegt in der mangelnden Zielgenauigkeit, wenn diese Bomben aus grosser Höhe abgeworfen werden, womit das Risiko, "Nichtkombattanten" zu treffen, steigt. Andererseits: Wenn sie aus geringer Höhe, etwa von einem Helikopter aus, abgeworfen werden, können sie sogar zielgenauer sein als konventionelle Fliegerbomben.

Insofern also ein eher akademischer Streit darüber, ob man die Opfer lieber von professionell oder improvisiert hergestellten Bomben zerfetzt sehen will.



Neuerdings wird, meist mit demselben Empörungstremolo, von den "bunkerbrechenden Bomben" berichtet, welche Russen und/oder Regierungsarmee nun in Aleppo verwenden sollen.

Es ist durchaus möglich, dass diese Bomben z.B. von der russischen Luftwaffe eingesetzt werden, sie sind auf jeden Fall Teil des russischen Arsenals (und des amerikanischen...). Eine bunkerbrechende Bombe ist so konstruiert, dass sie mittels Form, Gehäuseart, Zünder und Sprengstoffart tief in eine möglicherweise meterdicke Betondecke eindringt oder sie sogar durchdringt und erst dann, möglichst eben im Bunker, detoniert. Diese Technik ist aber sehr aufwändig, die Bomben entsprechend teuer. Solche Bomben auf ein Wohnhaus oder auf eine in einem Wohnhaus installierte Artilleriestellung abzuwerfen, macht aber definitiv keinen Sinn: Anstelle die feindlichen Kämpfer (oder, wenn man es so sehen will, die zivilen Bewohner) des Hauses zu töten, würde so eine Bombe durch alle Decken durchschlagen und erst im Keller oder im Erdreich darunter detonieren. So eine teure Waffe für ein "ungehärtetes Ziel" einzusetzen wäre, im Militärjargon formuliert, vollkommene Verschwendung. Wenn Russland sie tatsächlich in Aleppo einsetzt, dann darf man mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie auch nur für als verbunkert angenomme Ziele Verwendung findet.

Der schweizerische Journalist im Team war sich absolut sicher, dass die Zerstörungen in Aleppo "nur von einer Luftwaffe" angerichtet worden sein konnten. Auch wieder eine steile These von jemandem, der ausweislich der Presseclub-Webseite als Ökonom tätig ist.

Worin liegt der Unterschied zwischen einer Artilleriegranate und einer Fliegerbombe? Beide bestehen aus Metallhülle, Sprengstoff und Zünder - im Moment der Detonation ist da entsprechend kein wesentlicher Unterschied.

So waren auch die allerersten Fliegerbomben nichts anderes als aus dem Cockpit geworfene Granaten. In der Art der "Zieleinbringung" gibt es wohl typischerweise Unterschiede: Die Fliegerbombe fällt eben meist von oben, die Artilleriegranate meist in einer mehr oder minder gekrümmten ballistischen Kurve auf das Ziel. Wobei man aber auch Granaten "von oben" ins Ziel bringen kann (Steilschuss) und Fliegerbomben fast von der Seite ("Stuka").

Insofern ist ohne gründliche Untersuchung eines konkreten Einschlagsortes kaum zu entscheiden, was da zur Zerstörung eines Hauses geführt hat. Oder aber man hat glaubhafte Augenzeugen für die eine oder andere Art der Bombardierung. Nur an solchen glaubhaften Zeugen mangelt es ja gerade im Syrienkonflikt.



Damit wären wir bei den Informationsquellen: Nach wie vor benutzen ARD und ZDF vorzugsweise die "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" als Hauptquelle, z.B. bezüglich Opferzahlen und eingesetzter Waffen. Auch Jürgen Todenhöfer benutzte, allerdings mit erkennbarem Vorbehalt, einige Zahlen dieser "Beobachtungsstelle". Nun besteht diese "Beobachtungsstelle" aus genau einem Exil-Syrer, der in einem kleinen Häuschen bei London lebt und nach eigenem Bekunden seit Jahren nicht mehr in Syrien war. Allerdings habe er nach wie vor reichlich (vor allem elektronische) Kontakte mit einem Netz von Informanten vor Ort. Wie gross dieses Netzwerk allerdings ist, möchte der Herr (vielleicht aus guten Gründen des Quellenschutzes) nicht mitteilen.

Es ist durchaus möglich, dass dieser Mann tatsächlich recht umfassend über die Lage in Syrien informiert ist. Es könnte aber auch sein, dass er - zumindest partiell - auch Zweckmeldungen erhält und verbreitet. Diese Quelle aber seitens ARD und ZDF fast ausschliesslich zu benutzen und den etwas hochtrabenden Namen auch nie mit dem doch ernüchternden Kontext zu versehen, ist doch etwas nachlässig.

Beim Stichwort Kontext kommen wir zum Journalistenpanel der Sendung selbst: Bei der Vorstellung der Damen wird mit keinem Wort erwähnt, was nun z.B. Frau Helberg als Nahost-Expertin qualifiziert. Noch interessanter wird es bei Frau Tempel, als Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik" vorgestellt. Auf der Presseclub-Webseite erfährt man immerhin, dass sie u.a. an der Stanford-University in Kalifornien lehre. Das liebe Internet weiss aber über den Herausgeber von Frau Tempels Zeitschrift, die "Deutsche Gesellschaft für auswärtige Politik", noch wesentlich Interessanteres: Laut Wikipedia "versteht [sie] sich als praxisorientierter Think Tank, der auf wissenschaftlicher Basis nachfrageorientierte Politikberatung anbietet. Sie finanziert sich über die Beiträge ihrer Mitglieder, über eingeworbene Projektmittel und über Zuwendungen von Sponsoren und Mäzenen, darunter unter anderem das Auswärtige Amt, Deutsche Bank AG, EADS und die Robert Bosch Stiftung GmbH".

Also "nachfrageorientierte Politikberatung" (was immer das sein mag), gesponsort von der grössten deutschen Bank und dem grössten deutsch-europäischen Rüstungskonzern EADS.



Zusammengefasst: Die ARD präsentiert uns da 45 Minuten lang eine Troika (oder Quadriga) von mehr oder minder kompetenten Journalisten, und als Alibi für Pluralismus wurde Herr Todenhöfer eingeladen. Benutzt wurde er als Sparring-Partner für eine chorgleiche Wiederholung dessen, was uns auch Tagesschau und Heute schon seit Wochen und Monaten als "unparteiische" Berichterstattung verkaufen.

Und mindestens eine der Teilnehmerinnen ist alles andere als "neutrale Beobachterin", sondern steht zumindest mittelbar im Dienst einer Rüstungslobby mit vermutlich direktem Draht zum Aussenamt.

Wieso müssen die Bundesbürger des Jahres 2016 sich überhaupt mit so unangenehmen Sachen wie der Wirkung verschiedener Bombentypen auseinandersetzen? Vor allem deshalb, weil die BRD durch diese Bundesregierung, spätestens mit dem Einsatz der Aufklärungsflugzeuge über Syrien, zur Kriegspartei gemacht wurde. Und die "Begleitmusik" zu jedem Kriegseinsatz, die Propaganda, wird uns eben - auch mit dieser Presseclub-Sendung - mit zunehmender Insistenz "nahegebracht". Die Wörter "Fassbombe" und "bunkerbrechende Bombe" sind - in ständiger Wiederholung und ohne Erläuterung der konkreten Eigenschaften - in diesem Sinne Propagandainstrumente.



C



Bezüglich Bürgerkriegen sind sich die meisten Historiker einig, dass sie zu den hässlichsten Konflikten überhaupt zählen. Deutschland kann sich in diesem Falle glücklich schätzen, dass der letzte "deutsche Bürgerkrieg" nun schon rund 400 Jahre zurückliegt - als solchen könnte man den 30-jährigen Krieg (1618-1648) zumindest auch bezeichnen. In den USA dagegen liegt diese Erfahrung noch gar nicht so lange zurück - 1861 bis 1865 tobte dort der Bürgerkrieg. Und jener Abraham Lincoln, dem nicht nur ein grosses Stein-Monument in Washington, sondern auch unzählige Bücher, Filme und Zeitschriftenartikel gewidmet wurden und der fast schon eine Art nationaler Heiligenfigur geworden ist - jener US-Präsident liess beispielsweise seinen General William Tecumseh Sherman einen langen Feldzug durch die Südstaaten ("March to the sea") durchführen, der mit seiner gerade auch gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Gewalt "beispielgebend" wurde: "We're not only fighting armies, but a hostile people..." ("Wir bekämpfen nicht nur Armeen, sondern ein feindliches Volk...")

Heutzutage würde man Shermans Methoden (die auch z.B. das Abbrennen von Feldern oder die Zerstörung von zivilen Lebensmittellagern beinhalteten) ganz sicher Kriegsverbrechen nennen, und Präsident Lincoln ist sich dieser Methoden sicher bewusst gewesen. Trotz dieses Feldzuges, trotz der Artillerie-Bombardierungen zahlreicher Südstaaten-Städte (Atlanta z.B. war am Ende zu 90% zerstört), ist Lincoln nicht als der Präsident in die Geschichte eingegangen, der "sein eigenes Volk bombardierte". Dieser Vorwurf ist nämlich im Kontext eines Bürgerkrieges ziemlich sinnlos - natürlich bekämpfen die die staatliche Einheit erhalten wollenden Parteien immer auch Teile "ihres eigenen Volks", für dessen Gesamtheit zu sprechen und zu handeln sie ja gerade beanspruchen.

Die Begründung, die Lincoln für diese erbarmungslose Kriegsführung fand, ist dieselbe, die Churchill für die Nachtbombardements deutscher Städte fand, und dieselbe, die Truman für die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki fand: Sie sollten den Krieg verkürzen.



Das Argument der Kriegsverkürzung ist nicht schon deshalb wertlos, weil es ohne Zweifel auch oft missbraucht wurde *1.

Man könnte sich z.B. vorstellen, dass sich die "Weltöffentlichkeit" 1944 über die Bombardierung der französischen Stadt Caen durch allierte (also englische und amerikanische) Flugzeuge so erregte, dass man den Abbruch der Einsätze oder eine "Flugverbotszone" über Caen gefordert hätte. Aber das wäre de facto eine Massnahme zugunsten der NS-Armee gewesen, die allierten Invasionstruppen hätten von der Wehrmacht zurückgedrängt oder mindestens isoliert werden können. Dadurch hätte der Krieg durchaus entscheidend, vielleicht bis in das Jahr 1946 hinein, verlängert werden können.

Caen (und die zivilen Opfer dort) wurden also von allierter Seite in Kauf genommen, weil die Invasion vom 6. Juni 1944 ein Erfolg werden musste und dazu die Einnahme des Eisenbahnknotens Caen eine wichtige, vielleicht unabdingbare Voraussetzung war.

Und das Mittel, dies zu erreichen, war natürlich der Einsatz der einzigen Waffe, bei denen man den NS-Truppen klar überlegen war, eben die Air Force.

Natürlich waren die überlebenden Einwohner Caens über die nahezu vollständige Zerstörung ihrer Stadt entsetzt. Aber auf den absurden Gedanken, diese Zerstörung den westlichen Allierten anzulasten, ist wohl kaum einer gekommen. Zu eindeutig waren Ursache und Wirkung, zu klar die Absicht, endlich die verhassten Wehrmacht-Truppen aus Frankreich zu vertreiben.



Ob die Angriffe auf das von "Rebellen" gehaltene Ost-Aleppo als sinnvolle militärische Massnahme zur Verkürzung des Krieges oder als unnötige Verlängerung desselben betrachtet werden müssen, wird wohl erst in Jahren oder Jahrzehnten rückblickend zu entscheiden sein.



D



Herr Todenhöfer hat in seiner kurzen Redezeit doch zwei Thesen aufgestellt, über die nachzudenken sich lohnt:

1. "Dieser Krieg ist militärisch nicht mehr zu beenden."

2. "Der Konflikt kann nur auf politischem Weg durch die USA und Russland gemeinsam gelöst werden."

Der ersten These kann man auf technisch-militärischer Grundlage vielleicht widersprechen. Schliesslich sind IS und Al-Qaida (oder Al-Nusra) wohl bisweilen fanatisch kämpfende, aber zahlenmässig überschaubare Gruppierungen. Wieviel Rückhalt sie in der Bevölkerung haben (was, wie wir seit Mao wissen, das entscheidende Element für eine in den Untergrund abtauchende Kampfgruppe wäre), ist schwer absehbar - nach den bisher befreiten Städten zu urteilen eher weniger. Die vielzitierte "Freie Syrische Armee" müsste erst noch zeigen, ob sie mehr ist als eine PR-Erfindung - auf keinen Fall ist sie das, was sich der normale Europäer unter einer "richtigen" Armee vorstellt. Gut einsehbar, dass sich die russische Regierung zumindest momentan die militärische "Option" offenhalten will. Und ganz folgerichtig, dass sie eine (einseitige) Flugverbotszone ablehnt.

Und sicher wäre das syrische "Problem-Puzzle" einer Lösung zugänglicher, wenn man wenigstens die extremsten Dschihadisten "besiegen" oder dauerhaft isolieren könnte.

In dem Sinne, dass die Kämpfe in Syrien durch einen Teilsieg gegen die eine oder andere "Rebellen"- oder Dschihadisten-Gruppe nicht beendet wären, stimmt These 1 aber schon. Und "der Westen" muss sich, wenn es ernsthaft zu Fortschritten kommen soll, schon der Frage stellen, inwieweit die eigenen Entscheidungen und Handlungen der letzten Jahre irgendwie friedensstiftend waren.

Womit wir bei These 2 sind: "nur durch USA und Russland gemeinsam lösbar". Das ist m.E. richtig erkannt. Beide Grossmächte gemeinsam hätten durchaus die Macht, ihre jeweiligen Verbündeten an eine so kurze Leine zu legen, dass Lieferungen von Waffen und Munition, aber auch illegaler Export z.B. von Öl unterbunden oder mindestens drastisch reduziert werden könnten. Und damit wäre der Krieg am sichersten auszutrocknen.

So eine Zusammenarbeit ist aber nicht dadurch herstellbar, dass man den Partner beständig zur Aufgabe seiner Grundpositionen drängen will - oder konkret: Russland wird die Regierung Assad nicht zur "Aufgabe" zwingen (und kann es vermutlich auch gar nicht). Mithin zwingend die Erkenntnis, die der Kommentator des TIME-Magazine, Joe Klein, schon im Dezember letzten Jahres hatte: "Assad must stay - for the moment".



Damit war Mr. Klein aber gedanklich schon wesentlich weiter, als es unsere ARD-Journalisten-Troika heute ist. Denn führen wir deren Gedanken doch weiter: Es soll unbedingt eine Flugverbotszone her, die nach Lage der Dinge momentan nur die syrische Regierung und Russland einschränken würde. Den "Rebellen" (jedweder Couleur) würde das die Neugruppierung und die Verstärkung des Kampfes ermöglichen - definitiv kein Friedenspfad. Und gegen Russland sollen weitere Sanktionen (je mehr, je besser?) verhängt werden - offensichtlich kein Weg zur Verbesserung der Kooperation.

Wobei die Aussenminister beider Mächte - Kerry und Lawrow - durchaus im Dialog waren und vielleicht auch bleiben wollten. Das Verrückte ist nun, dass das Pentagon scheinbar bewusst die Politik des eigenen Aussenministers konterkariert - anders ist die "versehentliche" Bombardierung einer syrischen Armeeeinheit kurz nach Verständigung auf den letzten Waffenstillstand kaum zu verstehen.

Und zu den medialen Verrücktheiten im Falle Syriens gehört auch, dass nun - nach über 5 Kriegsjahren - mit fast schon hysterischer Stimme nach Flugverbotszonen, "humanitären Korridoren" (was für ein irres Wort) und Abstrafungen ("Sanktionen") Russlands gerufen wird.

Wo waren diese medialen Vorkämpfer für Humanität und gegen Kriegsverbrechen, als die IS in die jetzt "berühmt" gewordenen Frontstädte einzog? Kamen diese Kämpfer vielleicht mit Blumen im Gewehrlauf - oder doch eher mit MP im Anschlag und gezücktem Messer? Hätte man sich nicht schon damals um "humanitäre Korridore" für jene Einwohner bemühen sollen, die nicht unter IS-Herrschaft leben wollten?

Und waren die Bomben, die in den letzten 5 Jahren von US-amerikanischen, britischen, französischen und türkischen Flugzeugen abgeworfen wurden, wirklich so ultrapräzise, dass ausschliesslich IS-Kämpfer getroffern wurden ?

Wieso wurde damals nicht nach einer Flugverbotszone gerufen?



Interessanterweise ist es heute (rund 2 Wochen nach Ausstrahlung der Presseclub-Sendung) in den Mainstream-Medien sehr still um die Idee "Flugverbotszone" geworden. Das mag damit zusammenhängen, dass in der Zwischenzeit eine Menge nüchterner Beobachter darauf hingewiesen haben, dass es mit der blossen Proklamation einer solchen nicht getan ist. Will man so etwas umsetzen, muss man nicht nur die Kampfflugzeuge der "anderen" abschiessen, sondern auch dafür sorgen, dass die eigenen Maschinen gefahrlos im beanspruchten Luftraum operieren können - also muss man alle "feindlichen" Luftabwehrstellungen bombardieren. Und Russland hatte gerade mit der Verlegung von Luftabwehrsystemen allerneuesten Typs nach Syrien demonstriert, dass man die eigenen Flugzeuge nicht ohne Gegenwehr würde abschiessen lassen.

Oder anders ausgedrückt: Eine solche Zone hätte direkte kriegerische Handlungen der US- oder anderer NATO-Luftwaffen gegen russische Flugzeuge und Militärposten bedeutet. Erstaunlich, wie leichtfertig da nicht nur die "pro-westlichen" Journalisten des Presseclub-Panels etwas propagieren, das leicht zum dritten Weltkrieg führen könnte.

Wäre denn die Erfüllung der jahrelangen US-Forderung "Assad must go", die ja gerade Frau Helberg mit Nachdruck wiederholt hatte, zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt denkbar?

Machen wir die Spekulation: Assad tritt zurück und geht, am besten mit dem gesamten Führungspersonal von Regierung und Baath-Partei, ins Exil. Würden dann am nächsten Tag alle Syrer freudestrahlend das Ende des Krieges feiern und eine Regierung der nationalen Solidarität aufbauen?

Das wäre gleichbedeutend mit einem Wunder - die (bis zu tausend) verschiedenen bewaffneten Gruppen, die momentan auf syrischem Boden kämpfen, haben sich ja noch nicht einmal auf das Minimium einer erfolgreichen Militär-"Opposition", ein vereintes Oberkommando, verständigen können. Es ist ja auch bezeichnend, dass in all den Jahren nie eine Figur oder Gruppierung vor den Mikrofonen der internationalen Presse erschienen ist, die einigermassen kohärent eine Politik für ein "post-Assad-Syrien" hätte darlegen können.

Alle bisherige Erfahrung legt nahe, dass in einem Syrien ohne Assad-Regierung eine ähnliche Staats-Auflösung wie in Afghanistan oder im Irak zu beobachten wäre. Und für einige Gruppen (die Jesiden, die Christen, die Alewiten...) würde wohl konkrete Genozid-Gefahr bestehen.



E

Klarer Fall: Wo heute Bomben der syrischen Armee oder Russlands einschlagen, kommen Menschen um - Dschihadisten der einen oder anderen Sorte (die übrigens trotz allem auch Menschen sind), aber auch (hoffentlich wenige) Zivilisten und sicher auch gelegentlich Kinder. Das ist sehr traurig, aber vermutlich in keinem Krieg zu verhindern.



Der Unterschied zwischen den Bombenaktionen der USA und Ihrer Partner und der kombinierten Boden- und Luftoffensive Russlands mit der syrischen Armee ist eben, dass letztere kombiniert ist und tatsächlich Städte und Regionen aus der Gewalt von IS und al-Nusra befreit - etwas, was der "Freien Syrischen Armee" trotz expliziter Unterstützung durch die USA nie gelungen ist (ebensowenig wie der Sturz der Assad-Regierung, was vielleicht ohnehin das Hauptziel gewesen war).

Die Bundesregierung hat die BRD (eigentlich ohne Not) zur Kriegspartei in Syrien gemacht. Dann müssten wir von der Regierung auch erfahren dürfen, welches Ziel denn die beharrliche Ausweitung des militärischen "Engagements" haben soll:

- Will die Regierung in Syrien ein neuerrichtetes Kalifat mit irrsinnigen IS-Fanatikern an der Spitze errichtet sehen?

- Oder aber eine Vasallenregierung einer autokratisch geführten Türkei?

- Oder hat sie ein Wunder-Rezept, um dort eine Demokratie im "westlichen" Sinne zu errichten?

Man könnte aber auch den Eindruck haben, dass es um ein "irgendwie dabeisein" geht und das Absinken eines weiteren Nahost-Staates in einen Dauer-Bürgerkrieg zumindest in Kauf genommen wird. Dann müsste die Bundesregierung aber auch die (teilweise) Verantwortung für ein "afghanisiertes" Syrien als perfektes Ausbildungslager und Inspirationszentrum für dschihadistische Attentäter aller Art übernehmen.



Ein Leser dieser Website hat, in einem Versuch, die Parallelität von "westlicher" humanitärer Hilfe für Syrien (über UNHCR, EU etc.) mit der langjährigen Bombardierung Syriens durch die US-Regierung unter einen Hut zu bringen, folgende schöne Formulierung gefunden: die US-Bomben seien sozusagen eine "extreme Inkarnation westlichen Pluralismus".

Das bringt mich zur Vermutung, was denn nun das wirkliche Versagen, das unentschuldbare Vergehen Jürgen Todenhöfers in den Augen der vier Kollegen vom "Presseclub" ist:

Er hat einfach nicht begriffen, dass es "gute" Bomben gibt - auf denen steht "made and used by the US and it's allies" - und schlechte Bomben - auf denen steht natürlich "used by evil Putin and his thugs".

Und während die "guten" Bomben nur Frieden, Freiheit und Wohlstand bringen, bringen die "bösen" Bomben zielgenau kleine Kinder, Samariter und Mütter um.

Wir müssten wohl nur dafür sorgen, dass diesen fundamentalen Unterschied auch endlich jene Leute kapieren, die sich am anderen Ende der Fallkurve dieser Sprengmittel befinden.

Vielleicht sollten wir einfach diese (selbsternannten?) ARD-Nahost-Experten aus dieser TV-Runde für ein paar Monate in den jeweiligen Kampfzonen absetzen, damit sie auch den Syrern die wahre Natur der Bomben und überhaupt ihres Bürgerkriegs erklären könnten (Sarkasmus aus).

(Oktober 2016)

*1 So hat z.B. schon Robert Jungk darauf hingewiesen, dass die Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki möglicherweise mehr durch den Versuch, die aufstrebende Weltmacht Sowjetunion einzuschüchtern, als durch militärische Notwendigkeit gegenüber der zusammenbrechenden japanischen Kriegsmaschinerie motiviert waren.






Erster Nachtrag 1.11.2016:

Meine satirische Zuspitzung und Unterscheidung in "gute" und "schlechte" Bomben ist in den letzten Wochen, als die US-geführte Militäraktion zur Befreiung Mossuls anlief, sozusagen zur "Medienwirklichkeit" in ARD und ZDF geworden.

Während man uns die Bomben und Granaten auf Ost-Aleppo meist in der Form von panischen Zivilisten, blutüberströmten Opfern und heldenhaft Menschen aus Schuttbergen ziehenden "Weisshelmen" präsentierte, gerinnen die US-Luftangriffe zu kleinen Rauchwölkchen am Horizont einer in der Totalen aufgenommenen irakischen Wüstenlandschaft. Im Begleitton ist meist nur von "Luftunterstützung" die Rede, und darunter kann man sich ja, wenn man unbedingt will, auch anderes als Bomben und Raketen vorstellen - vielleicht Abwurf von Flugblättern? Durch diese Art der Darstellung lässt sich der bundesdeutsche Durchschnittszuschauer zur Duldung oder innerlichen Zustimmung zu diesen Operationen gewinnen. Über die hässliche Seite dieses Kampfes mit den unvermeidlichen Toten und Verstümmelten (allerdings diesmal durch US-HighTech-Bomben) muss und will er ja garnichts erfahren.

Meine Frage nach der Zielen der "westlichen Koalition" hat unsere Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen heute in einem Interview auf France24 zumindest teilweise beantwortet. Wie auch schon von anderen Stellen verlautbart, gehe es darum, die "DAESH"- oder IS-Kämpfer aus Mossul zu vertreiben (das erscheint auch insofern als schlüssig, als der Angriff auf Mossul wohl von Norden, Osten und Süden erfolgt - aber nicht aus Westen). Somit bleibt den IS-Kämpfern der Weg nach Westen (Syrien) oder Nordwesten (Türkei). Und Frau von der Leyen gab auch offen zu, dass sie erwartet, dass ein Grossteil der IS-Kämpfer sich nach Raqqa in Syrien aufmachen wird - und dass ein anderer Teil wohl nach Europa (zurück-)kehren wird.

Stellen wir uns einmal vor, dass Feldmarschall Montgomery seinem Vorgesetzten Winston Churchill 1944 über das Ziel der Normandie-Invasion erklärt hätte, es gehe darum, die NS-Truppen aus Nordfrankreich nach Belgien zu vertreiben - was die Wehrmacht dann dort treibe, interessiere ihn nicht so sehr.

Oder wenn General Douglas MacArthur seinem Präsidenten Franklin D. Roosevelt erklärt hätte, er wolle die japanischen Truppen von den Philippinen nur vertreiben - was sie dann auf dem chinesischen Festland oder sonstwo treiben würden, sei nicht so wichtig.



In jenen Zeiten, als Politiker und Militärs den Krieg wohl noch ernster nahmen, wären solche Aussagen wohl mit der sofortigen Absetzung der betreffenden Personen beantwortet worden.

Denn wenn man mit dem allerernstesten politischen Mittel einmal angefangen hatte, dann musste es darum gehen, den Feind zu besiegen und nicht einfach zu vertreiben wie einen lästigen Mückenschwarm. Man musste also Schlachten schlagen, um die feindlichen Soldaten entweder zu dezimieren (=töten oder verwunden) oder zur Kapitulation zu zwingen (=Gefangennahme). Und wenn der Feind besiegt war, also selbst die Niederlage erkannt hatte, konnte man schliesslich auch zu Friedensverhandlungen kommen.

Im 21. Jahrhundert scheint das nicht mehr zu gelten - da ist man zufrieden, wenn man den Gegner (?) einfach in eine andere Ecke treibt. Ob der Krieg dann 3, 13 oder 30 Jahre dauert, erscheint dann offenbar nebensächlich - Hauptsache, er findet im Wesentlichen in Gebieten der "anderen" (Nahost, Afrika...) statt.

Und was soll man von einer deutschen Verteidigungsministerin halten, die sich im obengenannten Interview wortreich für eine "europäische" Verteidigungs- und Sicherheitspolitik stark macht und den Willen der Bundesregierung betont, "Verantwortung zu übernehmen", aber auch ohne Wimpernzucken erklärt, dass die konkret ausgeführte Strategie Terroristen nach Europa zurückdrängen wird. Macht so eine Politikerin Deutschland sicherer - oder ist sie eher Teil der Bedrohung?

(November 2016)



Zweiter Nachtrag Oktober 2017: Tod im Sturm

Im SPIEGEL Nr. 42/2017 fand sich unter der Rubrik Nachrufe die Mitteilung, dass die obengenannte Sylke Tempel am 5.Oktober 2017 infolge eines Unfalls verstorben sei.

Tatsächlich fanden sich zumindest in den Online-Ausgaben von über 10 überregionalen Zeitungen ebenfalls teils umfangreiche Nachrufe auf Frau Tempel. Danach hatte sie am Abend des 5 Oktober, als der Sturm Xavier über den Norden Deutschlands hinwegzog, den Heimweg von einer Abendveranstaltung des Auswärtigen Amtes in ihrem Audi angetreten, als sie die Strasse von einem abgebrochenen Ast versperrt vorfand. Sie stieg aus, um das Hinderniss aus dem Weg zu räumen, und wurde dabei von einem umstürzenden Baum erschlagen. Soweit die Fakten.

Nicht nur die erwähnten Zeitungen haben Frau Tempel gewürdigt, sondern auch das Aussenamt selbst sah sich veranlasst, mit einer Pressemitteilung auf den Unglücksfall zu reagieren.

Zunächst verwundert die erhebliche mediale Beachtung für jemanden, der weder ein öffentliches Amt bekleidet hat noch durch besondere journalistische oder gar wissenschaftliche Arbeiten aufgefallen wäre. Ebenfalls irritierend, dass sich die Presseorgane nicht so recht darauf einigen konnten, ob Frau Tempel nun vorrangig Journalistin oder "Politik-Expertin" gewesen sei - bei den 10 von mir begutachteten Artikeln liegt "Politik-Expertin" mit 6 Nennungen leicht vor "Journalistin" mit 4 Nennungen, wenngleich einige Redaktionen im Fliessstext dann beide Bezeichnungen verwenden. Vielleicht war die Scheu, Frau Tempel einfach "Journalistin" zu nennen, darin begründet, dass die von Frau Tempel vertretene Zeitschrift "Internationale Politik" bei einer Auflage von deutlich unter 10'000 Exemplaren ein ziemlich elitäres Produkt darstellt.

ZEIT Online hat nicht nur eine relativ lange "Würdigung" von Frau Tempel ins Netz gestellt, sondern auch per Kommentarfunktion über 60 Leserkommentare verfügbar gemacht, die - dem alten Motto "de mortuis nihil nisi bene" *2 entsprechend - nur Lobenswertes über die Verblichene zu berichten wissen.



Dieses scheinbar überwältigend positive Leserecho wird dann erklärbar, wenn man die Erläuterung der Zeit zu diesem "Kondolenzbuch" liest: "Die Wahrung der Pietät ist uns bei Todesfällen wichtig, weswegen alle Kommentare vor der Veröffentlichung geprüft werden."

Also auch hier also einiger redaktioneller Aufwand für eine Frau, die - das habe ich schon im obenstehenden Text deutlich gemacht - mit hoher Wahrscheinlichkeit vorrangig Lobbyistin war.

Über den Begriff "nachfrageorientierte Politikberatung", den die DGAP *3 (die Herausgeberin von Frau Tempels Zeitschrift) in der Eigenbeschreibung verwendet, habe ich noch einmal nachgedacht. Wenn "nachfrageorientiert" bedeutet, dass man dem "Nachfrager" etwas bietet, was dessen Wünschen oder Anforderungen bestmöglich entspricht, so müsste "nachfrageorientierte Politikberatung" die Beratungsergebnisse liefern, die sich der Auftraggeber im vorhinein gewünscht hat.

Das widerspricht etwas dem üblichen Verständnis von Beratung. Denn diese sollte ja gerade ergebnisoffen sein und Fakten, Hintergründe und Schlussfolgerungen liefern, die der um Beratung Nachsuchende (noch) nicht hat. Aber im Falle von DGAP ist es wohl tatsächlich so, dass dieser "Think Tank" genau das liefert, was sich der Besteller wünscht; das "Beratungsergebnis" also das ist, was dem Auftraggeber vorschwebte. Allerdings geht es vermutlich auch garnicht darum, etwa das Aussenamt selbst zu beraten. Vielmehr nutzt in diesem Falle das Aussenamt den Think Tank dazu, seine Sicht der Dinge, versehen mit einem "neutralen" Anstrich, unters Volk zu bringen.

Schon erklärt sich das so überaus häufige Auftreten der Frau Tempel in diversen Sendeformaten von ARD und ZDF (oder soll man "Staatsfernsehen" sagen?). Und ihr entschiedenes Eintreten etwa für "Verantwortung übernehmen" (natürlich nur militärisch gemeint), Flugverbotszonen und "Assad muss weg" lag ja so hundertprozentig auf der damaligen Linie der Bundesregierung, dass man sie durchaus als inoffizielle Sprecherin des Aussenamtes betrachten konnte. Entsprechend ist der vielfach zitierte Nachruf des Aussenamtes nur folgerichtig - ging es doch um die Würdigung einer quasi "halbamtlichen" Mitarbeiterin.

Seit Goebbels Zeiten, das muss man konzedieren, ist staatliche Propaganda deutlich subtiler geworden. Propaganda bleibt sie deswegen trotzdem, auch wenn sie von Personen wie Frau Tempel unter dem Deckmantel von "Expertentum" *4 und "unabhängigem" Journalismus verbreitet wird.

Gewiss möchte der Angehörigenkreis der Verstorbenen das Andenken *5 derselben nicht beeinträchtigt sehen. Aber dem breiteren Publikum, und für dieses schreiben SPIEGEL, ZEIT und die anderen Blätter doch wohl, wäre m.E. ein bisschen Aufklärung über Wirken und Hintergrund von Frau Tempel zu gönnen gewesen. Stattdessen unreflektiertes Übernehmen von Pressemitteilungen. Vielleicht sogar in bewusster Anbiederung an die geldmächtigen Sponsoren der DGAP?



(Oktober 2017)

*2 "de mortuis nihil nisi bene": Über die Toten nichts als Gutes.

*3 DGAP = "Deutsche Gesellschaft für auswärtige Politik". Der Präsident der DGAP ist übrigens Arendt Oetker, Chef des gleichnamigen Lebensmittel-Konzerns.

*4 Vielleicht sollten deutsche Universitäten als Novität den einsemestrigen Studiengang "Diplom-Experte" einführen, damit wenigstens das umständliche begriffliche Herumgeeiere ein Ende hat und man jederzeit Zugriff auf diplomierte "Experten" hat (Sarkasmus aus).

*5 Nur als Nebengedanke: Den rund 10'000 Vietnamesen pro Jahr, die noch immer den im Vietnamkrieg eingesetzten Sprengmitteln (Bomben-Blindgänger, Minen etc.) zum Opfer fallen, werden in SPIEGEL und ZEIT keine pietätisch anpruchsvollen Nachrufe zuteil, ebensowenig wie den vermutlich hunderten oder tausenden irakischen Kindern, die - höchstwahrscheinlich infolge des Einsatzes von US-Uranmunition - mit schwersten Missbildungen geboren werden und meist vorzeitig sterben.