Drei Putschversuche



  1. An einem Sommermorgen bestieg der Obrist das Flugzeug, dass ihn nach Osten bringen sollte. Bei sich hatte er 2 Sprengsätze, mit denen er den Diktator bei einer gemeinsamen Besprechung in die Luft sprengen wollte. Seine Mitverschwörer in der Hauptstadt hatten einen ausgeklügelten Plan ausgearbeitet, um mit einem Minimum an in die eigentliche Putschabsicht eingeweihten Truppen trotzdem alle regimetreuen Kräfte zu entwaffnen und den Umsturz zu vollenden. Auch hatte man Kontakte zu bekannten Persönlichkeiten der vor-Diktatur-Zeit geknüpft, um möglichst bald nach dem Putsch eine neue militärische und zivile Führung präsentieren zu können.

    Zunächst schien das Attentat zu gelingen: der Obrist konnte zwar nur bei einem der Sprengsätze den chemischen Zeitzünder auslösen, aber auch dieser allein hätte ausreichend sein müssen, um alle im Raum anwesenden Personen zu töten. Kurz vor der Explosion verlässt der Obrist den Ort, und als er sich schon mit dem Auto entfernt, hört er den Explosionknall. In der Gewissheit, den Diktator getötet zu haben, besteigt er das nächste Kurierflugzeug zur Hauptstadt.


Dem etwas geschichtskundigen Leser wird schon klar sein, um welchen Putschversuch es sich hier handelt: Es geht um den 20. Juli 1944, als Oberst Graf von Stauffenberg einen Sprengsatz unter dem Kartentisch der Besprechungsbaracke in Hitlers Hauptqaurtier "Wolfsschanze" platzierte. Auch der Ausgang der Geschichte ist bekannt: sowohl Attentat als auch Putsch scheiterten, Hitler überlebte und nutzte die folgenden Monate, um nicht nur die eigentlichen Putschisten, sondern auch eine Vielzahl anderer regimekritischer oder als solcher verdächtigter Personen verhaften, foltern und töten zu lassen. Besonders tragisch ist, dass in dem knappen Jahr nach dem 20. Juli noch einmal genausoviele Menschen auf dem europäischen Kriegsschauplatz sterben sollten wie in den 5 langen Kriegsjahren vorher.

Nach vielen Jahren Forschung hat man heute ein ziemlich klares Bild davon, warum Attentat und Putsch scheiterten. Beim Attentat sind es eine Reihe technischer Details: Stauffenberg hatte aus ungeklärten Gründen nur einen Sprengsatz aktiviert, die Besprechung fand nicht im Betonbunker, sonder wegen des sommerlichen Wetters in einer Holzbaracke statt, die Fenster waren geöffnet, der überaus solide Kartentisch bot dem Diktator - der sich zum Zeitpunkt der Explosion gerade weit vorbeugte - einen guten Schutz. Hitler konnte also schon in derselben Nacht seine Schmähung der Putschisten über den "Grossdeutschen Rundfunk" verbreiten:

>> Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen und mit mir den Stab praktisch der deutschen Wehrmachtführung auszurotten.<<

Schwerwiegender sind planerisch-organisatorische Mängel: Zwar sollte der Funkverkehr der Nachrichtenbaracke von einem Mitverschwörer sabotiert werden, aber sie wurde eben nicht (z.B. durch den zweiten Sprengsatz) physisch vernichtet, wodurch die Wolfsschanze rasch wieder Telefonate und Fernschreiben an die Führungsstellen des Reiches durchstellen konnte. Auch wurde der Rundfunksender in Berlin zwar von putschgemäss handelnden Einheiten besetzt, die technisch unbedarften Offiziere liessen sich aber von den regimetreuen Funkangestellten über die angebliche Abschaltung des Sendebetriebs täuschen. Auch die Abriegelung des Regierungsviertels wurde nicht energisch genug durchgesetzt, so dass Propagandaminister Goebbels ungehindert mit Hitler telefonieren konnte.

Dass der Walküre-Plan zumindest im Prinzip hätte funktionieren können, zeigte sich nun ausgerechnet im besetzten Paris sowie in Wien: Dort wurden die SS- und SD-Einheiten plangemäss von der Wehrmacht entwaffnet und verhaftet (und mussten - zu beiderseitiger Konsternierung - wenig später wieder freigesetzt werden).



  1. Fast genau 72 Jahre später findet ebenfalls ein Putschversuch statt: In der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 rollen Panzer durch die Strassen Ankaras und Istanbuls, die Flughäfen der beiden türkischen Städte werden von Militär besetzt und der Flugbetrieb eingestellt, die Bosporus-Brücken werden einseitig gesperrt, es wird von Kampfjets und Kampfhubschraubern am Himmel berichtet. Auch der staatliche Nachrichtensender TRT wird besetzt und strahlt zunächst den Wetterbericht in Wiederholungschleife aus. Dann verliest eine TV-Ansagerin einen kurzen Text der Putschisten, in dem erwartungsgemäss von Kriegsrecht und "ruhig bleiben" die Rede ist. Personen einer neuen (militärischen oder zivilen) Führung werden aber nicht vorgestellt. Von Staatschef Erdogan heisst es schon sehr früh (von wem ?), er sei "an einem sicheren Ort".

Noch in der Nacht wird ein Aufruf von Präsident Erdogan via CNN Turk und anderen Medien verbreitet, in welchem dieser seine Anhänger auffordert, auf die Strassen zu gehen, um für seine Regierung zu demonstrieren und sich den Putschisten entgegenzustellen. Keine 24 Stunden später scheint die gewählte Regierung wieder die volle Kontrolle zu haben, alle Strassensperen und Besetzungen der Putschisten sind aufgehoben und die unmittelbar Beteiligten festgesetzt. An dieser Stelle könnte man nun erleichtert aufatmen, den Sieg der Demokratie und des Volkes über die Waffen des Militärs feiern und die Vielfalt des modernen Medienangebots, welches den Ausfall des Staatssenders kompensieren konnte, loben.

Aber schon am Abend des 15. schienen einige Sachen nicht so recht zusammen zu passen:

Der Putsch ist gescheitert - waren die Anführer in diesem Fall also wirklich verbrecherisch-dumm ? Angesichts der im türkischen Militär ja durchaus vorhandenen Putscherfahrung wäre "dumm" irgendwie überraschend. Allerdings hört die Geschichte ja nicht mit dem Wegräumen der "Putschisten-Panzer" auf, sondern seitdem werden von der Staatsführung ausdrücklich als "Säuberungen" bezeichnete Massen-Verhaftungen, Entlassungen und Suspendierungen verfügt. Insgesamt wird derzeit (20.07.) von fast 30'000 Suspendierungen und an die 3'000 Verhaftungen berichtet, ganz aktuell ergänzt um ein Ausreiseverbot für Hochschullehrer. Natürlich sind diese Zahlen nicht Ergebnis irgendwelcher nach dem Putsch durchgeführten Ermittlungen, sondern es wurden wohl lange vorbereitete Listen von "Staatsfeinden" abgearbeitet. Allerdings darf dieser Umstand nicht voreilig zum Schluss verleiten, dass der Putsch von der Erdogan-Regierung nur inszeniert war. Auch die verschiedentlich berichteten Aussagen von Soldaten, die im Putschverlauf an Absperrungen und Besetzungen teilgenommen hatten, dass sie von gar keinem Putsch wussten, sondern die Aktionen für Notfallübungen gehalten hatten, ist in beide Richtungen deutbar. Auch die "Walküre"-Verschwörer hatten ja ganz bewusst auch uneingeweihte Truppen benutzt - eben unter den Notstands-Regelungen, die der Walküre-Plan vorsah. Allerdings ist eben auch möglich, dass die entsprechenden Befehle von regierungstreuen Kommandeuren ausgegeben wurden, um ein Putsch-Szenario herzustellen. Somit zeichnen sich momentan 3 Deutungsmöglichkeiten ab:

Was davon die Wahrheit ist, wird sich möglicherweise erst nach Jahren aufklären lassen. Interessant ist übrigens auch ein Rückblick auf die Verhaftungszahlen im Jahre 1944: Hitler liess rund 700 wirklich oder nur vermutet mit dem Putschversuch in Verbindung gebrachte Personen verhaften (und davon rund 110 exekutieren). Die im Anschluss stattfindende Aktion "Gewitter", die sich hauptsächlich gegen Abgeordnete, Bürgermeister und ähnliche Politiker aus der Weimarer Zeit richtete, führte zu rund 5'000 Verhaftungen - auch hier wurde eine lange vorbereitete Liste "abgearbeitet".

Was auch interessant sein könnte: Wird Kanzlerin Merkel nun für oppsitionelle Türken ein ähnlich generöses Asylangebot unterbreiten wie im Spätsommer 2015 für Syrien-Flüchtlinge ?



  1. Nun zum letzten Putschversuch, der oberflächlich betrachtet ohne Blutvergiessen ablief, und zwar im Sommer 2015. Helden und Schurken dieses Putsches verteilen sich über ganz Europa und sind wahrscheinlich auch gar nicht alle namentlich bekannt. Zu nennen wären ranghohe EU-Funktionäre wie Kommissionspräsident Juncker, Parlamentspräsident Schulz und "Eurogruppenchef" Dijsselbloem. Verschiedene Staatschefs und Minister spielen eine Rolle, auf deutscher Seite u.a. die Minister Schäuble und Gabriel und natürlich Kanzlerin Merkel. Und zum Lager der "Nonkonformen" gehörten ein Herr Tsipras und ein Herr Varoufakis.

Es geht natürlich um die "Staatsschuldenkrise" Griechenlands und die Kulmination der "Krisenbehebung" in jenem Sommer. Zumindest für die griechische Bevölkerung nicht ohne Belang ist die Vorgeschichte der Krise, und die beginnt eindeutig mit der für viele Beobachter überraschenden Aufnahme Griechenlands in den Kreis der ersten Länder, die die nationale Währung zugunsten des EUROs aufgeben. Denn scheinbar hatte Griechenland punktgenau zur EURO-Einführung alle "Konvergenzkriterien" erfüllt und konnte ebenso wie die EU-"Kernländer" ab Januar 2002 die neuen Münzen und Geldnoten ausgeben. Später sollte sich herausstellen, dass die damaligen griechischen Regierungen mittels "kreativer Buchführung" und tätiger Mithilfe der Investmentbank Goldman Sachs die Zahlen geschönt hatten.

Die ganze Geschichte der Griechenlandkrise, die untrennbar verbunden mit der Finanzkrise von 2007 sowie der seitdem in Europa immer rigider durchgesetzten Austeritätspolitik ist, hier darzustellen, würde die Geduld der Leser wohl überstrapazieren. Viele fundierte Analysen dazu findet man auf den auch in der Linkliste notierten Webseiten (www.nachdenkseiten.de, www.makroskop.eu).

Für den Sommer 2015 entscheidend ist, dass die im Januar des Jahres mit deutlicher Mehrheit gewählte Regierung unter Tsipras nun weder personell noch parteilich mit den früheren Regierungen (meist unter Führung von Nea Dimokratia und/oder PASOK) verbunden war und somit wohl am wenigsten für die gravierenden politischen Fehler der Vorjahre verantwortlich gemacht werden konnte. Trotzdem schlug den griechischen Verhandlern in Brüssel eine schroffe Ablehnung entgegen, begleitet von einer medialen Schmähkampagne der Mainstream-Medien nicht nur in Deutschland, wie man sie bislang noch nicht gesehen hatte. Im Ergebnis wurde jeder konstruktive Vorschlag der neuen Regierung abgelehnt und mit neuen, immer umfassenderen Forderungspaketen beantwortet. Da ja seine Regierung ausdrücklich mit dem Auftrag zur Abmilderung der Austeritätspolitik ins Amt gekommen war, entschloss sich Ministerpräsident Tsipras Ende Juni dazu, diese Position durch ein Referendum über den letzten EU-Vorschlag zu stärken. Das am 5. Juli durchgeführte Referendum erbrachte mit rund 62% "OXI"- (also NEIN-)Stimmen genau diese Unterstützung.

Die EU beantwortete diese "Unbotmässigkeit" mit einem nochmals verschärften Papier. Unter der Androhung sofortigen Liquiditätsentzugs (und vermutlich noch anderer Mittel) kapitulierte die griechische Regierung schliesslich Ende Juli und legte die im EU-Papier geforderten Massnahmen als Gesetzespaket dem Parlament vor, wo sie schliesslich angenommen wurden. Seitdem, so kann man kurz zusammenfassen, ist Griechenland de-facto eine neuzeitliche Kolonie unter Aufsicht von EU, EZB und IWF.

Im Ergebnis ein Putsch ohne Panzer und Gewehre, aber dafür umso effektiver - denn aller umständlichen demokratischen Wählerei zum Trotz entscheidet in diesem Land nicht mehr das Volk ("der Souverän") über seine Gesetze, sondern eine Finanz- und Bürokratie-"Elite" aus Brüssel und Washington.


Der Multimilliardär Warren Buffet hat den Begriff "finanzielle Massenvernichtungswaffen" (für CDS und ähnliche Finanz-"Produkte") geprägt. Man könnte im Bild bleiben und im Falle Griechenlands vom Einschlag einer "finanziellen Neutronenbombe" sprechen, die alle Institutionen und Ämter scheinbar unbeschädigt hat stehen lassen, aber die dahinterstehenden Sinn-Strukturen hinwegfegte.

Am Anfang dieses Absatzes hatte ich von "oberflächlich betrachtet ohne Blutvergiessen" geschrieben. Denn dieser sozusagen ferngesteuerte Putsch erzeugte keine hässlichen Bilder von erschossenen Menschen oder Massenverhaftungen. Aber im Lande selber findet ein einmaliger Prozess der Pauperisierung statt, der sich auch z.B. in steigenden Selbstmordzahlen und Säuglingssterblichkeits-Quoten *2 niederschlägt. Insofern forderte (und fordert) auch dieser Putsch Opfer in Form von Menschenleben. Nur gibt es hier keine Sensationsbilder von Leichen auf den Strassen, sondern die Opfer sind Teil einer traurigen Statistik.


Tatsächlich ein einmaliges Experiment, das die EU da veranstaltet: Wie führe ich ein entwickeltes Land wieder auf Drittwelt-Niveau ?


(Juli 2016)



*1 Ein total subjektives Detail: Wer sich noch an die Bilder des an seinem Feriendomizil festgesetzten Staatspräsidenten Gorbatschow während des August-Putsches von 1991 erinnert, der konnte die Angst in den Augen Gorbatschows nicht verkennen. Demgegenüber wirkte Präsident Erdogan in der Putschnacht im improvisierten Interview an seinem Feriensitz fast entspannt und sehr selbstbewusst.

*2 Die Säuglingssterblichkeits-Quote lag im Jahre 2008 mit 2,7 sogar unter derjenigen von Deutschland, steigt seitdem aber beständig - zuletzt auf den Wert 4,8.