Die Kanzlerin bei "Anne Will" in der ARD am 28.02.2016



Normalerweise schaue ich diese "Gross-Talkrunden" nicht, egal, ob sie nun "Günther Jauch", "Anne Will" oder "Sabine Christiansen" heissen. Aber das Gespräch am 28.02.2016 war ja als enorm wichtig angekündigt, und da mir auch auf den anderen Kanälen nichts Gehaltvolleres ins Auge sprang, habe ich also diese Sendung komplett angeschaut.

Und ich musste feststellen: Jawohl, diese Frau Merkel, die in den Anfangsjahren ihrer Karriere medial oft etwas unbeholfen daherkam, hat sich zu einer wahren Meisterin entwickelt. Denn das muss man ja erst 'mal können: in einem rund 60 Minuten langen "Gespräch" inhaltlich eigentlich nicht anderes sagen als:

"Ich habe richtig gehandelt, ich handele richtig, ich werde richtig handeln..."

Trotzdem gab es 3 interessante Momente, auf die ich hier eingehen werde. Zunächst einmal der kurze Moment, als Anne Will einmal zu oft in einen ihrer Sätze hineinredete: "...wenn ich meinen Satz noch beenden darf..." . Das Lächeln hielt, aber in der Stimme war unverkennbar eine stählerne Härte herauszuhören. Und es hat funktioniert, damit waren die Rollen wieder klargestellt: Hier die Kanzlerin von Gottes Gnaden, dort die journalistische Kleinunternehmerin.

Dann gab es (sinngemäss) die Frage von Anne Will, ob durch das einfache "zu-sicheren-Herkunfsländern-erklären" nicht einfach ein Problem weg-definiert werde. Als die Kanzlerin ausweichend antwortete, hakte Frau Will nicht nach - eine von vielen verpassten Chancen.

Die nächste grosse Chance ergibt sich ab Minute 42:27 (*1 ). Da ist Frau Merkel schon mitten in einem bemerkenswerten Bandwurmsatz: "auch mit 'ner NATO-Mission nochmal die Kontrolle zu machen - die Türkei hat sich damit zu wirklicher Transparenz auch verpflichtet - denn die Schiffe der NATO werden jetzt orten, wo sind diese Schlauchboote und dann wird man ja auch sehen, was kann die türkische Küstenwache machen, muss man sie unterstützen, wie kann FRONTEX helfen …"

In der kurzen Pause nach "Schlauchboote" und dem verquälten "dann wird man ja auch sehen" offenbart sich die ganze Verlogenheit der Merkel'schen Politik. Denn wozu taugt der im besten Neusprech als "Schutz der Aussengrenzen" verharmloste Einsatz von NATO-Kriegsschiffen eigentlich ? Sollen diese Schiffe die Flüchtlingsboote ein bisschen abdrängen, vielleicht an die zyprische Küste, oder die "Schleuserwerkzeuge" - also die Boote - versenken, oder aber die fiesen "Schleuser" mit dem Bordgeschütz wegfegen ? Oder aber alle Flüchtlinge "abfischen" und in einen sicheren Hafen verfrachten - aber das könnte man mit ein paar gemieteten Kreuzfahrtdampfern sicher billiger und besser.

Was genau sie nun mit "man wird ja auch sehen" meint, verschweigt uns die Kanzlerin. Und natürlich hakt Frau Will auch hier nicht nach. Könnte es sein, dass Frau Merkel zwar ostentativ "das Asylrecht kennt keine Obergrenze" und andere hehre Sätze vorträgt, aber recht froh ist, wenn möglichst viele Flüchtlinge entweder im Mittelmeer ertrinken oder an den diversen Grenzen der Balkanroute "irgendwie" aufgehalten werden ?

Überhaupt die Türkei und die Balkanroute - schaut sich ein moderner Journalist auch einmal eine Landkarte an ? Wer es tut, findet ohne ohne Mühe heraus, dass der direkteste Weg aus der Südtürkei über Ankara nach Istanbul und weiter an die bulgarische und damit EU-Grenze führt - ganz ohne eine gefährliche Meerespassage (wenn wir den mit Brücken und Tunneln gut ausgestatteten Bosporus einmal beiseite lassen). Wieso stauen sich also die Syrien- und Irak-Flüchtlinge nicht an der türkisch-bulgarischen Grenze - oder ähnlich wie in Calais an den Auffahrten zu den Bosporus-Brücken ? Offenbar sorgt die Türkei dafür, dass jedem Flüchtling sehr klar ist, dass dieser Weg nicht geht. Wieso ? Geschieht auch das mit bester Abstimmung im Rahmen der "EU-Türkei-Agenda" ?

Aber zurück zum Interview. Was für eine verpasste Chance ! Wie hätte wohl ein Friedrich Nowottny oder ein Günther Gaus die Kanzlerin interviewt ? Vielleicht hätte man sich auch einfach Larry King ausleihen sollen, dessen Motto "you have to ask the right questions, and to demand the right answers" ist.


Ein paar Vorschläge also für die nächste Fragerunde:


"Wieso soll die Türkei und nicht die UNHCR die türkischen Lager oder 'Hotspots' managen ?"

"Wieso konnten Sie der Türkei binnen kürzester Frist ein 3-Milliarden-Euro-Paket *2 für Flüchtlinge anbieten, während die finanzielle Ausstattung der bestehenden UNHCR-Lager im Nahen Osten im Sommer/Herbst 2015 drastisch gekürzt wurde ?"

"Wieso haben Sie und Ihre Koalitionskollegen jede Überlegung, die Fluchtursache 'Krieg in Syrien' zu beenden, von vornherein als illusorisch erklärt ?"

"Das Grundrecht auf Asyl ist naturgemäss ein persönliches Recht, kein pauschales. Trotzdem wurden und werden Syrer und Iraker pauschal bevorzugt und z.B. momentan von Mazedonien an der Grenze zu Griechenland durchgelassen, während Flüchtlinge anderer Nationalitäten ebenso pauschal abgewiesen werden. Ist dies mit der Bundesregierung abgesprochen ?"

"Aus welchen Gründen wird das militärische Verteidigungsbündnis NATO in den Mittelmeer-Einsatz zur 'Grenzsicherung' eingebunden ? Handelt es sich hier gar um einen Verteidigungsfall gemäss Nordatlantik-Charta ?"

"Was konkret sollen die NATO-Schiffe tun, wenn sie Flüchtlingsboote 'geortet' haben ?"

"Sie fordern von den EU-Partnern europäische Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Mit welchen konkreten Aktionen der letzten 10 Jahre hätte sich denn die deutsche Regierung diese Solidarität verdient ?"

"Allen Berichten zufolge sind für die meisten Flüchtlinge Deutschland, Grossbritannien und Schweden das Ziel. Welches Interesse sollten die anderen europäischen Länder haben, im Rahmen einer Quotenlösung eine signifikante Menge von Menschen aufzunehmen, wenn diese nach Registrierung vermutlich in grosser Zahl wieder in die 3 genannten Länder weiterreisen wollen ? Sollen diese Menschen dann mit Gewalt zurückgehalten werden ?"

"Die Versorgung von Hunderttausenden Flüchtlingen kostet unzweifelhaft eine Menge Geld - allein schon für Unterbringung und Versorgung. Sie haben mehrfach Steuererhöhungen zur Finanzierung ausgeschlossen, ebenso hat ihr Finanzminister Schäuble jede Neuverschuldung *3 kategorisch abgelehnt. Dies bedeutet unweigerlich Umverteilung der öffentlichen Mittel. Zu wessen Lasten sollen diese Umverteilungen gehen ?"


* * *

An dieser Stelle eine Klarstellung:

Vor den Flüchtlingen habe ich prinzipiell keine Angst, ich bin nicht xenophob. Man darf annehmen, dass die überwiegende Mehrzahl tatsächlich nur Schutz vor Krieg, Vertreibung und Elend suchen. Aber ich habe sehr wohl Angst davor, dass wir uns in 5-10 Jahren eine deutsche Abart von "banlieus" schaffen könnten, in denen eine wachsende Anzahl arbeitsloser, desillusionierter Migranten in Kleinkriminalität und Fanatismus abgedrängt werden.

Wenn wir das nicht wollen, so müssen wir jetzt Geld - viel Geld - in die Hand nehmen, und dabei dürfen wir auch die Teile der "Stammbevölkerung" nicht vergessen, die durch Hartz-4 und andere Agenda-Massnahmen an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden.

Und bevor wir Hunderttausende von Menschen in ein aberwitziges Karussell aus Flucht, Lagerleben, wieder Flucht und wieder Lagerleben, Abschiebung oder mühsame Eingliederung zwingen - sollten wir dann nicht "unsere ganze Kraft" für die Beendigung der Kriege nicht nur in Syrien aufbringen ?


Darf eine Kanzlerin ihr Volk zu einer "nationalen Anstrengung" aufrufen ? Im Prinzip sicher schon. Präsident Kennedy hat Anfang der 60er-Jahre seine Landsleute dazu aufgerufen, in einer grossen Anstrengung den "Wettlauf zum Mond" zu gewinnen. Wie hätten seine Landsleute damals, wie würden Historiker heute es bewerten, wenn er gleich am nächsten Tag den Etat der NASA auf die Hälfte zusammengestrichen hätte ?


Über die Motive der Kanzlerin zu spekulieren, wie es für einen Grossteil des deutschen Blätterwaldes zur schönen Pflicht geworden ist, habe ich mir abgewöhnt. Da halte ich mich lieber an das Bibelwort "an ihren Taten sollt ihr sie ermessen". Und die Taten der Kanzlerin sprechen leider eine ganz andere Sprache als das 60-minütige Gesäusel bei Anne Will.


(Im März 2016)


Nachtrag vom 10.03.2016:

Der letzte EU-Gipfel vom 8.3. führt die Heuchelei auf neue Stufen: Da wird zunächst ein "überraschender Vorschlag der Türkei" an die Presse durchgereicht, der sich dann als Plan der deutschen und niederländischen Regierung erweist. Danach soll eine Art grossräumiges Tauschgeschäft organisiert werden - gute "Wunsch"-Migranten gegen schlechte "illegale" Migranten, und für die Aufnahme derselben soll die türkische Regierung mit weiteren Milliarden entlohnt werden. Wenn das kein organisierter Menschenhandel ist - was dann sonst ...


*1 Zeitangabe gemäss der in der ARD-Mediathek abrufbaren Sendung.

*2 Das projektierte Gesamtbudget der UNHCR für 2016 für beträgt übrigens rund 6 Milliarden Euro.

*3 Bei der gegenwärtigen Kurslage für Bundesanleihen ergeben sich nicht einmal signifikante Finanzierungskosten - "Geld umsonst".